0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch Art. 2 Nr. 5 des Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3191) mit Wirkung zum 1.1.2017 neu eingefügt. Die Vorschrift enthält Regelungen zur Pflegebedürftigkeit bei Kindern. Der Pflegebedarf von Kindern bestimmte sich bislang nach § 64 Abs. 4, der der Vorschrift des § 15 Abs. 2 SGB XI (jeweils in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) entsprach. Systematisch war die Vorschrift in § 64 a. F., der sich auf das Pflegegeld bezog, unzutreffend angesiedelt. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber nunmehr Abhilfe geschaffen, indem er die Vorschrift nach vorn gezogen hat.
1 Allgemeines
Rz. 2
Für die Bestimmung der Pflegebedürftigkeit von Kindern ist nach wie vor der infolge von Krankheit oder Behinderung gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Pflegebedarf maßgebend. Die Bezugnahme auf diese Vergleichsgruppe erklärt sich vor dem Hintergrund, dass Kinder aufgrund ihres Entwicklungsstandes schon einen natürlichen, altersbedingten Hilfebedarf haben, so dass andere Maßstäbe als bei Erwachsenen gelten müssen. Kinder sind altersbedingt auch dann hilfe- bzw. pflegebedürftig, wenn sie dies nicht im pflegewissenschaftlichen Sinne sind. Der "typische" kindliche Pflegebedarf allein begründet keinen Anspruch gegen den Träger der Sozialhilfe bzw. die Pflegekasse.
Rz. 3
Anders als bisher wird der Hilfebedarf nicht mehr verrichtungsbezogen in Minuten ermittelt, sondern wie im Rahmen der Begutachtung von Erwachsenen kommt seit dem 1.1.2017 das neue Begutachtungsinstrument (NBA) zum Tragen. Folglich ist der Grad der Selbstständigkeit des Kindes in den Lebensbereichen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit Anforderungen und Belastungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte maßgeblich.
Rz. 4
Naturgemäß kann die Entwicklung von Kindern oftmals recht unterschiedlich verlaufen, so dass es im Rahmen des anzustellenden Vergleichs mit altersgerecht entwickelten Kindern auf eine Pauschalierung der Entwicklungsschritte ankommt. Eine solche findet sich in den "Richtlinien zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches" (Begutachtungs-Richtlinien – BRi, Stand: Juli 2017), die der GKV-Spitzenverband mithilfe des MDS erstellt hat.
2 Rechtspraxis
Rz. 5
Hinsichtlich der Definition des Begriffes "Kind" dürfte auf § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII zu verweisen sein. Danach ist Kind grundsätzlich, wer noch nicht 14 Jahre alt ist. Nach den gemäß § 62 auch im SGB XII anwendbaren BRi (abrufbar im Internet unter: https://www.mds-ev.de/richtlinienpublikationen/richtliniengrundlagen-der-begutachtung/pflegebeduerftigkeit.html) können jedoch bereits für Kinder ab 11 Jahren dieselben pflegegradrelevanten Berechnungsvorschriften herangezogen werden, wie für Erwachsene. Innerhalb der Richtlinien wird den bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen geltenden Besonderheiten durch ein eigenes Kapitel und ein eigenes Formulargutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit Rechnung getragen.
2.1 Kinder ab 18 Monaten
Rz. 6
§ 61c Abs. 1 bezieht sich auf Kinder, die 18 Monate oder älter sind. Es wird der Vergleich mit einem altergerecht entwickelten (gesunden) Kind als für die Einordnung in die in § 61b genannten Pflegegrade für maßgeblich erklärt.
2.2 Kinder bis 18 Monate
Rz. 7
Abs. 2 bezieht sich auf Kinder im Alter bis zu 18 Monaten (der Tag, an dem das Kind seinen 18. Lebensmonat vollendet, vgl. §§ 187, 188 BGB) und trifft für diesen Personenkreis eine Sonderregel entsprechend § 15 Abs. 7 SGB XI. Andernfalls wäre bei Kindern dieser Altersstufe nach Anwendung des in Abs. 1 geregelten Vergleichs regelmäßig kein oder nur ein geringer Pflegegrad gegeben, da auch die altersgerecht entwickelten Kinder in diesem Alter in allen Lebensbereichen unselbstständig sind und einen hohen Hilfebedarf haben. Aus diesem Grund werden Kinder bis zu einem Alter von 18 Monaten in Abweichung von § 61b jeweils einen Pflegegrad höher eingestuft, als dies eigentlich nach der im Rahmen der Begutachtung erreichten Gesamtpunktzahl der Fall wäre. Bis zum Erreichen des 18. Lebensmonats finden weitere Begutachtungen regelmäßig nur dann statt, wenn ein Höherstufungsantrag gestellt oder ausnahmsweise aus fachlicher Sicht eine erneute Begutachtung empfohlen wird. Letzteres kann z. B. nach einer erfolgreichen Operation einer Lippen-/Kiefer-/Gaumenspalte oder eines Herzfehlers der Fall sein.
3 Literatur
Rz. 8
Marburger, Die Auswirkungen des Pflegestärkungsgesetz III, Behindertenrecht 2017 S. 58.
Schmidt, Das Dritte Pflegestärkungsgesetz, NZS 2017 S. 207.