Rz. 16
Ob und wieweit dem Verpflichteten die Tragung der Bestattungskosten finanziell zuzumuten ist, richtet sich ausschließlich nach seinen individuellen Verhältnissen. Je enger der Verwandtschaftsgrad, desto höher die Verpflichtung zum Einsatz des Einkommens. Zur Bestimmung der Zumutbarkeit ist auf die Einkommensgrenze des § 85 abzustellen (BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 23/08 R; HessVGH, ZfSH/SGB 2004 S. 290). Hat ein etwaiges Einkommen die Einkommensgrenze des § 85 überschritten, rechtfertigt dies allein noch nicht zwingend den Einsatz des die Einkommensgrenze überschießenden Teils des Einkommens (BSG, a. a. O.). Dies ergibt sich nicht nur aus der Sonderstellung des Anspruchs aus § 74 und der dort normierten eigenständigen Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit. Auch § 87 Abs. 1 Satz 1 knüpft den Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze an deren Zumutbarkeit und beschränkt dessen Einsatz auf einen angemessenen Umfang. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen (§ 87 Abs. 1 Satz 2). Die Aufzählung ist nicht abschließend, wie die Formulierung "insbesondere" zeigt (Paul, ZfF 2006 S. 103, 106). Zudem stellt § 87 Abs. 1 Satz 2 auf die Art des Bedarfs ab. Geht es im Ergebnis um die Übernahme von Schulden und nicht um einen aktuell zu deckenden (Not-)Bedarf, also um die Abwendung einer gegenwärtigen Notlage, der nur mit präsenten Hilfsmöglichkeiten begegnet werden kann, kann es dem Anspruchsteller dann auch zumutbar i. S. d. § 74 sein, zur Tragung der Bestattungskosten etwaige Ansprüche gegen Dritte geltend zu machen und durchzusetzen (BSG, a. a. O.).
Sind die Einkommens- und Vermögensgrenzen ohne die denkbaren Ausgleichsansprüche unterschritten, kann dem Anspruchsinhaber jedoch nicht unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 (sog. Nachranggrundsatz) entgegengehalten werden, er müsse sich vorrangig um die Realisierung von Ausgleichsansprüchen gegen Dritte bemühen. Das BSG hat insoweit entschieden (u. a. Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 23/08 R), dass es sich bei § 2 Abs. 1 nicht um eine isolierte Ausschlussnorm handelt, was sich insbesondere aus der Systematik des SGB XII insgesamt ergibt. Nicht zuletzt beweist dies auch der Wortlaut der Norm, der nicht auf bestehende andere Leistungsansprüche, sondern auf den Erhalt anderer Leistungen abstellt. Eine Ausschlusswirkung ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist allenfalls denkbar in extremen Ausnahmefällen (allgemeine Selbsthilfe nach § 2 Abs. 1 Alt. 1), etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind.
Rz. 16a
Unabhängig davon, d. h. auch bei Unterschreiten der Grenze des § 85, ist es dem Erben zuzumuten, vorrangig alle Mittel einzusetzen, die ihm durch den Tod des Verstorbenen zugeflossen sind, einschließlich des Schonvermögens (BVerwG, Beschluss v. 4.2.1999, 5 B 133/98, FEVS 51 S. 5; OVG Berlin, ZfSH/SGB 1998 S. 732). Einzusetzen sind daher alle aus Anlass des Todes entstandenen Sozialleistungshilfen und Beihilfen sowie sonstige Versicherungsansprüche, Schadenersatzforderungen nach § 844 BGB und auch ein Ausgleichsanspruch gegen einen anderen Miterben nach § 426 BGB. Eine Ausnahme gilt nach Sinn und Zweck lediglich für Erbstücke i. S. d. § 90 Abs. 2 Nr. 6, die anlässlich des Erbfalls in das Eigentum des Leistungsberechtigten übergegangen sind und deren Veräußerung jedoch eine besondere Härte darstellen würde. Lässt sich nicht feststellen, ob ein anderer Miterbe nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Tragung von Bestattungskosten nicht in der Lage war, geht dies zulasten des Miterben, der die Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 beansprucht (OVG Nordrhein-Westfalen, FEVS 48 S. 446). In Fällen, in denen die Erbmasse die Bestattungskosten einschließlich aller testamentarischen Anordnungen für die Beerdigung per Saldo deckt, kommt die Vorschrift des § 74 im Ergebnis daher nicht in Betracht.
Rz. 16b
Nach Ansicht des BSG (vgl. Terminsbericht zum Termin v. 28.2.2013, B 8 SO 19/11 R) ist auch das Einkommen und Vermögen desjenigen mit einzubeziehen, der mit dem Verpflichteten in einer Einstandsgemeinschaft lebt. Hierbei hat das Gericht auf § 19 Abs. 3 abgestellt, der auch für § 74 gelte. Auch der Umstand, dass der Ehegatte nicht Verpflichteter i. S. v. § 74 ist, sieht das BSG nicht als Grund an, das Einkommen und Vermögen des Ehegatten nicht heranzuziehen.