Rz. 6
Nur eine vorsätzliche Tötung führt zum Leistungsausschluss. Die Vorgängerregelung, die noch absichtliche Tötung vorsah, ist zu Recht abgeändert worden, da in diesen Fällen der innerer Zusammenhang zu einer beruflichen Beschäftigung regelmäßig fehlt und deshalb schon kein Versicherungsfall vorliegt (BSGE 30 S. 270, 281; BSGE 58 S. 76, 77). Mit Vorsatz ist der strafrechtliche Begriff gemeint. Demnach liegt Vorsatz vor, wenn der Täter mit Wissen und Wollen bezogen auf den Taterfolg handelt. Dabei reicht es aus, wenn der Täter den Erfolg billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Diese Fälle sind gegenüber der bloßen Fahrlässigkeit abzugrenzen. Auch durch Unterlassen kann der Täter vorsätzlich handeln, wenn ihm eine Garantenstellung zukommt (§ 13 StGB). Bei einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) richtet sich der Vorsatz nicht auf den tödlichen Erfolg. Der Tod tritt hier nur fahrlässig ein, so dass die Voraussetzungen für den Ausschlusstatbestand nicht gegeben sind. Hauck/Freund (SGB VII, § 101 Rz. 6) will auch die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) wegen Fehlens eines gleichwertigen Unwertgehalts ausnehmen. Diese Auffassung ist abzulehnen, denn Tötung auf Verlangen beinhaltet das aktive vorsätzliche Töten eines Menschen. Für eine teleologische Reduktion des § 101 Abs. 1 ist hier kein Raum (Reyels, in: JurisPK-SGB VII, § 101 Rz. 25 mit Hinweis auf BSG, SozR 4-2700 § 101 Nr. 2, juris Rz. 31).
Rz. 6a
Handelt der Täter nicht rechtswidrig, etwa weil ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht (Notwehr § 32 StGB, Notstand § 34 StGB), oder kann ihm kein Schuldvorwurf gemacht werden (Schuldunfähigkeit § 20 StGB), liegen die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestands nicht vor.
Rz. 6b
In diesen Kontext sind auch die Fälle der Sterbehilfe zu setzen. Eine Relevanz im Rahmen des § 101 Abs. 1 besteht nur dann, wenn ein Versicherter durch einen Versicherungsfall so nachhaltig in seiner Gesundheit geschädigt ist, dass ein Akt der Sterbehilfe aus Gründen des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde (Art. 1 GG) in Betracht kommt. Nur dann besteht der notwendige innere Zusammenhang zum Versicherungsfall. Der rechtlich wesentliche Grund für den Tod muss der Versicherungsfall bleiben (BSG, Urteil v. 4.12.2014, B 2 U 18/13 R, SozR 4-2700 § 101 Nr. 2 = UV-Recht Aktuell 2015 S. 248 = SGb 2015 S. 96, Kurzwiedergabe = juris Rz. 21, 22). Das vorsätzliche Herbeiführen des Todes eines Versicherten führt dann nicht zum Leistungsausschluss, wenn sich das Handeln des Hinterbliebenen nach den Kriterien des Bundesgerichtshofes als straffreie Sterbehilfe darstellt (BSG, Urteil v. 4.12.2014, a. a. O.).
Rz. 6c
Danach ist zu unterscheiden:
- Da die Selbsttötung straffrei ist, ist auch die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei.
- Die aktive Sterbehilfe im Sinne einer gezielten Tötung oder Beschleunigung des Todeseintritts durch aktives Tun – auch im Sinne der Tötung auf Verlangen – ist immer strafbar. Hier geht es nicht um Hilfe, sondern um das Töten (§§ 212, 216 StGB).
- Eine passive Sterbehilfe bei der ein ursächliches Unterlassen den vorzeitigen Todeseintritt bedingt oder eine indirekte Sterbehilfe, bei der der Todeseintritt als sekundäre Folge palliativer, insbesondere schmerz- und angsthemmender Maßnahmen eintritt, kann straffrei sein, wenn dies dem Willen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht (§ 1901a BGB).
Rz. 6d
Der durch das 3. Betreuungsänderungsgesetz v. 29.7.2009 (BGBl. I S. 2286) eingeführte § 1901a BGB bringt den gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck, dass es Teil des Selbstbestimmungsrechtes und damit der Würde des Menschen ist, keine lebensverlängernden Maßnahmen erdulden zu müssen, wenn dies dem Willen eines Versicherten entspricht. Dieser Grundsatz ist auch in der gesetzlichen Unfallversicherung umzusetzen, so dass in diesen Fällen ein Leistungsausschluss nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil v. 4.12.2014, B 2 U 18/13 R, a. a. O.). Die Einwilligung des Versicherten kann sich unmittelbar aus einer Patientenverfügung ergeben (§ 1901a Abs. 1 BGB). Im Übrigen muss der Betreuer oder Bevollmächtigte den mutmaßlichen Willen des Versicherten ermitteln und auf dieser Basis eine Entscheidung treffen (§ 1901a Abs. 2 BGB). Beides führt dann zur Straffreiheit wenn:
- der Versicherte erkrankt ist,
- ein Tun (Beatmungsmaschine abstellen) oder Unterlassen (Antibiotikum nicht mehr geben) geeignet ist, das Leben zu verlängern
- und, wenn man es weg lässt, das Leben bzw. Sterben seinen Lauf nimmt.
(nach BGH, Urteil v. 25.6. 2010, 2 StR 454/09 BGHSt 55 S. 191 = NJW 2010 S. 2963 = MedR 2011 S. 32).
Eine straffreie Sterbehilfe gegen den Willen des Versicherten gibt es nicht. Irrt der Angehörige über das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandes, fehlt ihm der Vorsatz und die Strafbarkeit entfällt (zum Wegfall des Vorsatzes bei Erlaubnistatbestandsirrtum vgl. Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, § 16 Rz. 14 ff.).