Rz. 16
Die 2. Alternative des Abs. 3 erweitert das Haftungsprivileg auf Personen unterschiedlicher Unternehmen, die eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausüben, ohne dass besondere Rechtsbeziehungen zwischen den Unternehmen bestehen müssen. Vorübergehend ist so zu verstehen, dass zumindest vorübergehend eine Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet werden muss. Eine länger andauernde Tätigkeit, auch über Jahre, schadet nicht; denn es kann nicht derjenige benachteiligt werden, dessen Bindung in die Gefahrengemeinschaft durch eine längere Tätigkeitsdauer enger wird. Für länger dauernde Tätigkeiten gilt das Privileg deshalb erst recht (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 8.4).
Rz. 17
Die Vorschrift setzt Versicherte voraus, sodass unversicherte Personen als Schädiger (Hauck/Nehls, SGB VII, § 106 Rz. 15; BGH, Urteil v. 11.11.2003, VI ZR 13/03) und auch versicherte Schädiger von unversicherten Personen (Ricke, in:KassKomm. SGB VII, § 106 Rz. 12 unter Bezug auf BSG, Urteil v. 26.6.2007, B 2 U 17/06 R) nicht privilegiert sein können. Ist einer der Beteiligten z. B. Beamter, kommt es nicht zur Privilegierung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 8.6).
Rz. 18
Auch Unternehmer können nur privilegiert sein, wenn sie versichert sind. Allerdings wird der versicherte Unternehmer nur mit in das Haftungsprivileg nach Abs. 3 einbezogen, wenn er tatsächlich auf der gemeinsamen Betriebsstätte, wenn auch nur vorübergehend, tätig war (h. M. BGH, Urteil v. 3.7.2001, VI ZR 284/00; Urteil v. 27.6.2002, III ZR 234/01; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, §106 Rz. 13; Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 106 Rz. 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 8.7).
Rz. 19
Über die Bildung von regelrechten Arbeitsgemeinschaften mit den entsprechenden vertraglichen Beziehungen und Bindungen der Unternehmen hinaus erweitert die Vorschrift den Kreis der möglichen privilegierten Schädiger auf Versicherte einer gemeinsamen Betriebsstätte. Das ist jeder Ort, an dem die betriebliche Tätigkeit verrichtet wird. Der Begriff ist grundsätzlich weit auszulegen und geht über die Definition der Arbeitsstätte der Arbeitsstättenverordnung hinaus. Das bloß zufällige Zusammentreffen an einem bestimmten Ort reicht jedoch nicht aus. Ebenso reichen parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, nicht aus. Eine gemeinsame Betriebsstätte erfordert eine Arbeitsverknüpfung i. S. eines bewussten Miteinander im Arbeitsablauf. Die Rechtsprechung des BGH und des BAG hat unter Anerkennung dessen, dass die Haftungsprivilegierung grundsätzlich erweitert werden sollte, dies definiert als Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (BGH, Urteil v. 17.10.2000, VI ZR 67/00; BGH, Urteil v. 8.6.2010, VI ZR 147/09; BGH, Urteil v. 1.2.2011, VI ZR 227/09; BAG, Urteil v. 12.12.2002, 8 AZR 94/02; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 106 Rz. 8.3). Diese Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt des Unfalls vorliegen (Beispiele bei Hauck/Nehls, SGB VII, § 106 Rz. 18a). Zwischen dem mit der Bauleitung beauftragten Architekten und einem Bauhandwerker besteht regelmäßig keine gemeinsame Betriebsstätte (BGH, Urteil v. 13.3.2007, VI ZR 178/05). Es fehlt an einem wechselseitigen Bezug der Arbeiten vor Ort und der Tätigkeit des Architekten. Der darin bestehende einseitige Bezug, dass der Architekt die Arbeit der Bauhandwerker zu überwachen hat, reicht für die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte nicht aus.