Rz. 77
Essen und Trinken ist grundsätzlich eine unversicherte eigenwirtschaftliche Verrichtung; es reicht nicht, dass es der Erhaltung der Arbeitskraft dient. Ebenso wenig begründet es den Versicherungsschutz, dass die Mahlzeit bzw. das Getränk an der Arbeitsstelle eingenommen wird. Auch die Nahrungseinnahme in der Kantine des Betriebes ist grundsätzlich unversichert. Daher sind auch Unfälle infolge des Essens oder Trinkens (z. B. Verschlucken, Vergiftungen) unversichert.
Rz. 78/79
Nach der Rechtsprechung gelten jedoch Ausnahmen:
- Der Arbeitnehmer verschluckt infolge betriebsbedingter Hast einen Rouladenspieß und verletzt sich (BSG, Urteil v. 7.3.1969, 2 RU 264/66).
- Der Arbeitnehmer nimmt ein Getränk zu sich, weil er infolge besonderer Wärme am Arbeitsplatz Durst leidet, und verschluckt sich beim Trinken (BSG, Urteil v. 30.6.1961, 2 RU 78/60).
- Ein internatsmäßig untergebrachter Lehrgangsteilnehmer rutscht unmittelbar nach Beendigung der Mahlzeit in der Kantine aus und stürzt (BSG, Urteil v. 24.2.2000, B 2 U 20/99 R).
- Ein Arbeitnehmer trinkt, um seinen durch die betriebliche Tätigkeit erzeugten Durst zu löschen, wie üblich aus der mitgebrachten Flasche eines Arbeitskollegen, in der sich jedoch infolge eines Versehens statt des durststillenden Getränks eine giftige Flüssigkeit befindet (BSG, Urteil v. 16.12.1970, 2 RU 46/68).
- Ein Fernfahrer grillt auf dem Rastplatz, weil er den Lastzug nicht unbeaufsichtigt lassen will, und verletzt sich (BSG, Urteil v. 29.10.1986, 2 RU 7/86).
- Ein Arbeitnehmer nimmt nach einer 9-stündigen Arbeitsschicht ohne zwischenzeitliche Möglichkeit der Nahrungseinnahme unmittelbar nach Arbeitsschluss eine Mahlzeit ein (BSG, Urteil v. 25.2.1965, 2 RU 210/61).
- Eine Teilnehmerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme ist verpflichtet, ihr Mittagessen im Patientenspeisesaal einzunehmen. Die Einnahme des Mittagessens ist im Rahmen der stationären Kur "verordnet" gewesen. Infolgedessen besteht bei den mit der Essenseinnahme verbundenen Verrichtungen Unfallversicherungsschutz (BSG, 2 RU 61/89).
Rz. 80
Nach wie vor uneinheitlich wird beurteilt, ob der innere Zusammenhang dann gegeben ist, wenn sich der Unfall während des Aufenthalts in einer der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Betriebskantine ereignet und nicht aus einer Gefahr resultiert, die unmittelbar mit der Nahrungsaufnahme selbst (Verschlucken usw.), sondern mit der Räumlichkeit zusammenhängt (z. B. Ausrutschen auf Schmutz- oder Speiseresten – verneint von LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.10.2001, L 10 U 1968/00). In einer solchen Konstellation dürfte der innere Zusammenhang jedenfalls dann vorliegen, wenn sich eine betriebseigentümliche Gefahr bei dem Unfall realisiert hat oder wenn die Mitarbeiter aufgrund einer betrieblichen Anordnung dort ihre Pause verbracht (vgl. auch Rz. 41) und ihre Mahlzeit eingenommen haben (BSG, Urteil v. 7.8.1991, 8 RKnU 1/90: keine besondere Betriebsgefahr beim Verschlucken eines Knochenstücks eines Kotelettknochens).
Rz. 81
Der Weg zur Nahrungsaufnahme ist nach Abs. 1 versichert. Dazu gehört auch das Herbeiholen der Nahrungsmittel und das Entsorgen der Reste sowie das Abspülen des Geschirrs. Soweit ein solcher Weg innerhalb des Betriebsgeländes zurückgelegt wird, besteht Versicherungsschutz nach Abs. 1 Satz 1. Versichert ist auch der Weg zu einer Gaststätte oder einem Restaurant außerhalb des Betriebsgeländes (BSG, Urteil v. 6.12.1989, 2 RU 5/89) oder zum Einkauf von Nahrungsmitteln zum Verzehr während der Pause (BSG, Urteil v. 26.4.1977, 8 RU 76/76). Dabei muss allerdings der durch die Pausenzeit vorgegebene zeitliche Rahmen eingehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn im Betrieb eine Kantine vorhanden ist. Versicherungsschutz besteht dann nach Abs. 2 Nr. 1 (Wegeunfall).