Rz. 3
Gemeint sind in Abs. 1 Satz 1 rechtliche Verpflichtungen Dritter, aus denen derjenige einen Anspruch herleiten kann, der als Empfänger von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Betracht kommt. Es kommen sowohl vertragliche als auch gesetzliche Verpflichtungen in Betracht. Sittliche oder moralische Verpflichtungen zählen nicht dazu. Die Neufassung des Abs. 1 Satz 1 durch das KICK stellt klar, dass auch Verpflichtungen von Institutionen außerhalb des sozialrechtlichen Bereichs gemeint sind. Die Schulen werden beispielhaft aufgeführt, die Aufzählung ist nicht abschließend. Während die in Abs. 1 Satz 2 genannten Leistungen anderer dem Anspruchsberechtigten bereits zufließen, sind Verpflichtungen anderer noch nicht realisiert. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur müssen die aus den Verpflichtungen anderer resultierenden Ansprüche zeitnah realisierbar sein; es muss sich um bereite Mittel handeln (BVerwG, Urteil v. 23.11.1995, 5 C 13/94; Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, 2000 S. 97). Ist der aus der Verpflichtung des anderen resultierende Anspruch nicht zeitnah realisierbar, so muss der Jugendhilfeträger (vor-)leisten. Er kann anschließend prüfen, ob und inwieweit er im Wege der Überleitung des Anspruchs des Hilfeempfängers oder durch einen Kostenerstattungsanspruch seine Rechte durchsetzen kann. Geht es um Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger, so ist § 43 SGB I zu beachten.
Rz. 4
Es muss sich um Verpflichtungen oder um Leistungen aufgrund von Verpflichtungen handeln. Daher sind irrtümliche Leistungen anderer oder Leistungen anderer ohne Rechtsgrund nicht vorrangig. Doch ist gesondert zu prüfen, ob und inwieweit die daraus resultierenden Geldmittel als Einkommen berücksichtigungsfähig sind. Für freiwillige Leistungen anderer gilt Entsprechendes. Sie sind ebenfalls nicht vorrangig. Bei der Erhebung von Teilnahmebeiträgen nach § 90 oder bei der Heranziehung zu den Kosten bestimmter Leistungen der Jugendhilfe nach § 91 können die daraus resultierenden Geldmittel jedoch berücksichtigt werden.
Rz. 5
Die Verpflichtungen anderer werden durch dieses Buch nicht berührt. Das heißt, diese Verpflichtungen sind im Verhältnis zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vorrangig. Sie entfallen nicht dadurch, dass Leistungen nach dem SGB VIII gewährt werden. Eine das Vorrang-Nachrang-Verhältnis des § 10 Abs. 1 auslösende Leistungskonkurrenz setzt voraus, dass beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (OVG NRW, Beschluss v. 18.10.2012, 12 B 1018/12). Es sind nur diejenigen Verpflichtungen und diejenigen Leistungen Dritter gemeint, die dem gleichen Zweck dienen wie die in Betracht kommende Leistung der Kinder- und Jugendhilfe. Nur dann ist ein Vor- und Nachrangverhältnis denkbar. Der Zweck muss nach den Gegebenheiten des Einzelfalles bestimmt werden (OVG Lüneburg, Beschluss v. 10.10.1997, 12 L 549/97). Wird der Hilfebedarf durch Verpflichtungen oder Leistungen Dritter nur teilweise gedeckt (sog. Mangelfälle), so können ergänzende Leistungen des Jugendhilfeträgers gewährt werden. In Bezug auf die anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe (§ 2 Abs. 3) kommen Verpflichtungen oder Leistungen anderer, die dem gleichen Zweck dienen, nicht in Betracht.
2.1.1 Verpflichtungen anderer
2.1.1.1 Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger
Rz. 6
Die Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger werden in Abs. 1 Satz 1 beispielhaft genannt. Gemeint sind Ansprüche auf andere Sozialleistungen mit Ausnahme der in Abs. 2 aufgeführten Leistungen nach SGB II und SGB XII, die gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe nachrangig sind. Die jeweilige Sozialleistung muss dem gleichen Zweck dienen wie die zu gewährende Leistung der Kinder- und Jugendhilfe.
Rz. 7
Vorrangig sind Leistungen der Sozialversicherung, die einem Kind, einem Jugendlichen oder einem jungen Erwachsenen zustehen. Von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind Krankenhilfe- und Rehabilitationsleistungen vorrangig gegenüber der Krankenhilfe nach § 40 und der Eingliederungshilfe nach § 35a, soweit die Zweckrichtung der jeweiligen Leistung gleich ist (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 17.4.2002, 19 K 5456/00). Unter dieser einschränkenden Voraussetzung kann auch die häusliche Krankenpflege und Behandlungspflege nach § 37 SGB V gegenüber den Leistungen zur Betreuung und Versorgung eines Kindes in Notsituationen (§ 20) vorrangig sein. Da Kinder und Jugendliche beim Besuch von Kindergärten und Schulen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, kommen bei Eintritt eines Versicherungsfalles während des Besuchs einer solchen Einrichtung oder auf dem Weg von der Wohnung zu der Einrichtung und auf dem Nachhauseweg (Wegeunfall) zahlreiche Krankenpflege- und Pflegeleistungen, Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation oder auch unterhaltssichernde Leistungen, wie Verletztengeld oder Rente in Betracht. Auch sie sind gegenüber Leistungen nach dem SGB VIII vorrangig, soweit sie dem gleichen Z...