2.3.1 Überblick
Rz. 10
Der Verfahrensablauf von der Einleitung bis zur Vollstreckung einer rechtskräftigen Geld- oder Freiheitsstrafe ist im Einzelnen in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Das Verfahren gliedert sich im Wesentlichen in folgende Abschnitte: das Ermittlungsverfahren, das Strafverfahren und das Vollstreckungsverfahren. Im Folgenden werden die wesentlichen Eckpunkte dieser Verfahrensabschnitte dargestellt.
2.3.2 Ermittlungsverfahren
Rz. 11
Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfolgt entweder aufgrund einer Strafanzeige oder von Amts wegen. Eine Strafanzeige kann bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und dem Amtsgericht mündlich oder schriftlich angebracht werden (§ 158 Abs. 1 StPO). Anzeigebefugt ist jeder, d. h. nicht nur derjenige, der durch die Straftat unmittelbar verletzt oder betroffen ist. Eine Frist zur Erstattung einer Strafanzeige ist nicht vorgegeben.
Rz. 12
Die Staatsanwaltschaft ist die "Herrin des Ermittlungsverfahrens". Die Ermittlungen werden durch die Staatsanwaltschaft oder in deren Auftrag oder im sog. ersten Zugriff durch die Polizeibehörden geführt (§§ 160ff. StPO). Dabei gilt das sog. Legalitätsprinzip, d. h. bei Bekanntwerden von Umständen, die den Verdacht einer Straftat begründen, haben die Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) gemäß § 152 Abs. 2 StPO den Sachverhalt zu erforschen und einzuschreiten. Zu den Ermittlungen gehören insbesondere Zeugenvernehmungen, die Einholung ärztlicher Berichte oder behördlicher Auskünfte, die Durchführung von Durchsuchungen. Der Umfang der Ermittlungen richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, dass das Verfahren zur Einstellung führt (§ 163a Abs. 1 StPO).
Rz. 13
Hat die Polizei Ermittlungen durchgeführt, hat sie die Vorgänge ohne Verzug der für den Tatort zuständigen Staatsanwaltschaft vorzulegen (§ 163 Abs. 2 StPO). Nur die Staatsanwaltschaft ist zum Abschluss der Ermittlungen befugt.
Haben die Ermittlungen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keinen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat ergeben, d. h. keine nach der vorläufigen Tatbewertung gegebene Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 50. Aufl., § 203 Anm. 2), stellt sie das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Hält sie darüber hinaus eine weitere Verfolgung des Verhaltens als Ordnungswidrigkeit nach § 104 für geboten, legt sie der zuständigen Verwaltungsbehörde die Vorgänge zur weiteren Veranlassung vor.
Haben die Ermittlungen gegen den Beschuldigten einen hinreichenden Tatverdacht ergeben, schließt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ab und erhebt Anklage oder beantragt den Erlass eines Strafbefehls. Auch kann sie (nicht die Polizei) das Verfahren in diesem Stand nach dem sog. Opportunitätsprinzip mit Zustimmung des Gerichts gemäß § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit oder gemäß § 153a Abs. 1 StPO gegen eine der dort abschließend genannten Auflagen/Weisungen zunächst vorläufig und nach deren Erfüllung endgültig einstellen.
Mit einer Einstellung nach den vorgenannten Bestimmungen oder mit Erhebung der Anklage/der Beantragung eines Strafbefehls ist das Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Ist der Aufenthalt eines Beschuldigten nicht feststellbar, kommt eine vorläufige Einstellung in Betracht (§ 205 StPO analog).
2.3.3 Strafverfahren
Rz. 14
Mit Eingang der Anklage oder des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht beginnt das Strafverfahren. Sachlich und örtlich zuständig ist in erster Linie das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Tatort liegt (§ 7 Abs. 1 StPO, § 24 GVG). Innerhalb des Amtsgerichts ist im Hinblick auf die Straferwartung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe im Regelfall der Strafrichter zuständig (§ 25 GVG). Möglich ist auch eine Zuständigkeit des Jugendrichters, falls die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen in der Hauptverhandlung in Betracht kommt. Es handelt sich dann um eine sog. Jugendschutzsache gemäß § 26 GVG.
Rz. 15
Der Strafrichter veranlasst die förmliche Zustellung der Anklage an den Angeschuldigten gemäß § 201 StPO. Danach entscheidet er, ob er die Anklage zulässt und das Hauptverfahren eröffnet. Lehnt er dies aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ab, ist das gerichtliche Verfahren damit beendet.
Rz. 16
Andernfalls eröffnet er das Hauptverfahren (§ 203 StPO) und terminiert die Hauptverhandlung. Die Hauptverhandlung ist der wichtigste Teil des Strafverfahrens. Die Förmlichkeiten der Hauptverhandlung ergeben sich aus §§ 226ff. StPO. Es gelten insbesondere die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, d. h. der Angeklagte, alle Zeugen und Sachverständige müssen – bis auf wenige Ausnahmen – persönlich geladen und vernommen werden. Die Vernehmungen dürfen im Regelfall nicht durch die Verlesung von Niederschriften früherer Vernehmungen ersetzt werden. Außerdem obliegt dem Gericht eine Aufklärungspflicht, d. h. es hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tats...