Rz. 9
Die logisch-systematische Interpretation berücksichtigt den Bedeutungszusammenhang, in dem ein Begriff verwendet wird, also den gesetzlichen Kontext. Dabei gilt das Postulat der Einheit der Rechtsordnung: Jede Norm muss sich widerspruchsfrei in die Rechtsordnung einfügen lassen. Rechtsvorschriften sind so auszulegen, dass keine andere Bestimmung überflüssig wird; tatsächliche Widersprüche müssen harmonisiert werden (Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 2. Aufl. 2001, S. 71).
Rz. 10
Bestünden Ansprüche auf bestimmte Leistungen der Jugendarbeit, wäre dies mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden. Wer aus Abs. 1 Satz 1 direkte Leistungsansprüche ableitet, verschafft sich damit zugleich einen gewissen Einfluss auf den Staatshaushalt und dessen Prioritäten. Könnte jeder junge Mensch bestimmte Maßnahmen der Jugendarbeit oder gar die Schaffung bestimmter Dienste oder Einrichtungen gerichtlich erstreiten und im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen, würden die gesetzgebenden Körperschaften ihre Budgethoheit in diesem Bereich faktisch verlieren. Über die Höhe des Jugendhilfebudgets würden letztlich die Gerichte und nicht mehr die Parlamente entscheiden. Angesichts der Weite des gesetzlichen Tatbestands müsste der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bis zur Kapazitätsgrenze (und darüber hinaus) unbegrenzt leisten. Da die finanziellen Ressourcen aber faktisch beschränkt sind, begönne zu Beginn eines Haushaltsjahres der (vollstreckungsrechtliche) Wettlauf der Anspruchsteller um die verfügbaren Haushaltsmittel. Eine Jugendhilfeplanung (§ 80) wäre damit praktisch unmöglich; der Träger der öffentlichen Jugendhilfe könnte seiner Gesamtverantwortung für die Aufgabenerfüllung (§ 79 Abs. 1) nicht mehr gerecht werden. Ein durchsetzbarer Anspruch auf bestimmte Leistungen würde somit praktisch zu einem Stillstand der Jugendhilfe führen, was gesetzlich nicht gewollt sein kann. Wie viel Geld der Staat mit welcher Priorität für welche Leistungen ausgibt, darf nicht in das Belieben des einzelnen Anspruchsberechtigten gestellt werden, sondern muss – weil es sich um (jugend-)politische Entscheidungen handelt (Mrozynski, ZfJ 1999 S. 403, 404) – in der Hand der Gesetzgebungsorgane bleiben (vgl. hierzu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, Rz. 289; Jarass, AöR Bd. 110, 1985 S. 363, 389; Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rz. 8; Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 3. Aufl. 1985, Art. 1 Abs. 3 Rz. 116; vgl. auch Mrozynski, ZfJ 1999 S. 403 f.). Dies spricht entscheidend gegen den materiell-rechtlichen Anspruchscharakter des § 11 Abs. 1 Satz 1. Eine Pflicht, Haushaltsmittel entsprechend dem Umfang der Nachfrage bereit zu stellen, enthält die Vorschrift somit nicht (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 23.1.2001, 2 L 51/01; Krug/Grüner/Dalichau, SGB VIII, § 11 Anm. I 1).