Rz. 38
Unterhaltsbedürftig ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Ein Kind ist grundsätzlich bedürftig, wenn es weder über Vermögen noch Einkünfte verfügt, um seinen Unterhaltsbedarf zu decken. Das wird in der Beratungspraxis der Träger der Jugendhilfe der Regelfall sein. Im Einzelfall sind folgende Besonderheiten zu beachten.
Rz. 39
Gegenüber Großeltern und weiter entfernten Verwandten ist das Kind unterhaltsrechtlich verpflichtet, sein Vermögen zu verwerten. Diese Pflicht bezieht sich auf alle Vermögensgegenstände, auch Grundstücke, Forderungen gegen Dritte und Sparguthaben. Dem Kind ist aber für die Fälle eines plötzlich auftretenden Bedarfs ein Notgroschen zu belassen, dessen Höhe sich an den Vorschriften des Sozialrechts (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) orientiert (BGH, Urteil v. 5.11.1997, XII ZR 20/96). Gegenüber Eltern steht dem unverheirateten minderjährigen Kind das Bedürftigkeitsprivileg des § 1602 Abs. 2 BGB zu. Es muss den Stamm seines Vermögens nicht angreifen, die Einkünfte aus dem Vermögen aber für den Unterhalt verwenden (§ 1649 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Rz. 40
Neben ggf. vorhandenen Einkünften aus einem Vermögen muss sich das Kind gegenüber allen Verwandten in gerader Linie ein tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen anrechnen lassen. Ausbildungsvergütungen eines im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebenden Kindes sind nach Kürzung um den ausbildungsbedingten Mehrbedarf (Düsseldorfer Tabelle – Anm. 8: 90,00 EUR; vgl. Rz. 170) voll anzurechnen (Brudermüller, in: Palandt, BGB, § 1602 Rz. 7; vgl. auch Rz. 160).
Rz. 41
Umstritten ist die Frage, ob sich ein minderjähriges Kind nach Beendigung der Schullaufbahn eine fiktive Ausbildungsvergütung anrechnen lassen muss, wenn es sich nicht um einen Ausbildungsplatz bemüht oder eine mögliche Stelle nicht annimmt. Eine solche Erwerbsobliegenheit wird im Verhältnis zu den Eltern von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung unter Hinweis auf § 1611 Abs. 2 BGB verneint. Aus § 1611 Abs. 2 BGB folge, dass eine vom Minderjährigen herbeigeführte Bedürftigkeit keinen Einfluss auf dessen Unterhaltsanspruch habe. Diese Regelung stehe einer Erwerbsobliegenheit des minderjährigen Kindes entgegen (OLG Saarbrücken, Urteil v. 7.4.1999, 9 UF 147/98; OLG Stuttgart, Beschluss v. 10.5.1996, 17 UF 159/96; OLG Hamburg, Beschluss v. 22.12.1994, 15 WF 205/94). Dem ist entgegenzuhalten, dass § 1611 BGB nicht die Fälle einer Erwerbsobliegenheit im Blick hat, sondern sich auf ein sittliches Verschulden wie Spiel-, Trunk- oder Drogensucht (OLG Hamm, Urteil v. 19.10.2001, 11 UF 36/01) bezieht. In dieser Situation können sich die Eltern, die für ein minderjähriges Kind die Verantwortung tragen, nicht ihrer rechtlichen und sittlichen Verantwortung entziehen. Eine bloße Faulheit bedarf jedoch keines Schutzes. Eine Erwerbsobliegenheit ist daher zu bejahen, wenn keine Gründe ersichtlich sind, warum das Kind eine Ausbildungsstelle nicht angetreten oder eine andere Arbeit nicht angenommen hat (OLG Koblenz, Urteil v. 24.11.2003, 13 UF 522/03; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 3.3.1999, 3 WG 187/98; OLG Düsseldorf, Urteil v. 9.8.1989, 5 UF 4/98; OLG Karlsruhe, Urteil v. 26.11.1987, 16 UF 58/87; Klein, in: Weinreich/Klein, FamR, § 1602 Rz. 11). Im Verhältnis zu Großeltern und weiter entfernten Verwandten in gerader Linie hat das minderjährige Kind in jedem Fall eine Erwerbsobliegenheit, da § 1611 Abs. 2 BGB keine Anwendung findet.
Rz. 42
Die Anrechnung des Kindergeldes richtet sich nach § 1612b BGB, der durch das am 2.1.2008 in Kraft getretene Unterhaltrechtsänderungsgesetz grundlegend neu gefasst wurde. Nunmehr gilt: Das Kindergeld mindert den Bedarf des Kindes (§ 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB), und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB i. V. m. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB). In allen anderen Fällen mindert das Kindergeld in voller Höhe den Bedarf (§ 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB). Der Ausgleich zwischen den Elternteilen erfolgt unter Anwendung von § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB nach dem Verhältnis der jeweiligen Unterhaltsbeiträge (vgl. zum Ganzen Born, NJW 2008 S. 1, 4 f.).
Ist das Kindergeld wegen der Berücksichtigung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes der Eltern erhöht, ist es im Umfang der Erhöhung nicht bedarfsmindernd anzurechnen (§ 1612b Abs. 2 BGB).