2.2.2.4.1 Grundsätze
Rz. 43
Die Leistungsfähigkeit der Unterhaltsschuldner richtet sich nach § 1603 BGB. Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist für die Leistungsfähigkeit das Einkommen unter Berücksichtigung der sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners maßgeblich. Unter "Einkommen" ist bei normal verdienenden, unselbstständigen Unterhaltsschuldnern das Nettoeinkommen gemeint. Bei Freiberuflern und Höherverdienenden sind Beiträge für eine angemessene Kranken- und Altersvorsorge in Abzug zu bringen (Brudermüller, in: Palandt, § 1601 Rz. 9) . Angesichts der mit der demografischen Entwicklung einhergehenden Notwendigkeit, verstärkt für das Alter vorzusorgen, hält der BGH Vorsorgeaufwendungen von 4 % des Gesamtbruttoeinkommens für angemessen (BGH, Urteil v. 11.5.2005, XII ZR 211/02). Diese für das nacheheliche Unterhaltsrecht getroffene Entscheidung ist entsprechend heranzuziehen. Zugunsten der Kinder aus vorherigen Beziehungen ist der Ehegattensplitting-Vorteil aus einer (neuen) Ehe zu berücksichtigen (BGH, Urteil v. 11.5.2005, XII ZR 211/02), da für den Verwandtenunterhalt grundsätzlich das tatsächlich vorhandene Einkommen maßgeblich ist.
Rz. 44
Vom Nettoeinkommen sind berufsbedingte Aufwendungen, berufsbedingte Fahrtkosten und unterhaltsrechtlich relevante Schulden abzusetzen. Ob Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen sind, ist unter umfassender Abwägung der Interessen zu beurteilen. Insbesondere kommt es auf den Zweck der Verbindlichkeit, den Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung und die Kenntnis von der Unterhaltsschuld an (BGH, Urteil v. 6.2.2002, XII ZR 20/00 m. w. N.). Nicht abzugsfähig sind Schulden, die leichtfertig für Luxusgüter oder ohne nachvollziehbaren Grund eingegangen wurden (OLG Köln, Beschluss v. 6.2.2006, 4 WF 192/05; BGH, Urteil v. 25.1.1984, IVb ZR 43/82). Dagegen sind familienbedingte Schulden grundsätzlich abzugsfähig (BGH, Urteil v. 6.2.2002, XII ZR 20/00; Brudermüller, in: Palandt, BGB, § 1603 Rz. 7), während die Aufnahme von Schulden trotz Kenntnis der Barunterhaltspflicht nicht zu einer Reduzierung des Einkommens führt, wenn nicht Umstände vorliegen, die die Schuldenaufnahme als unumgänglich erscheinen lassen (BGH, Urteil v. 18.3.1992, XII ZR 1/91). Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände der Schuldenaufnahme trägt der Unterhaltsschuldner, da die Minderung der Leistungsfähigkeit geltend gemacht wird (BGH, Urteil v. 18.3.1992, XII ZR 1/91). Soweit Verbindlichkeiten unterhaltsrechtlich relevant sind, müssen sie vollständig abgesetzt werden. Es findet keine Deckelung statt, um für das Kind die Erfüllung eines Mindestbedarfs zu sichern, da ein solcher gesetzlich nicht festgelegt ist (dazu im Einzelnen BGH, Urteil v. 6.2.2002, XII ZR 20/00).
Rz. 45
Ein besondere Art Verbindlichkeit sind die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts. Zur Rechtslage vor der zum 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindschaftsrechtsreform entsprach es der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass sich die Aufwendungen für die Ausübung des Umgangsrechts (Fahrt- und ggf. Übernachtungs- und Verpflegungszusatzkosten), die im Einzelfall erheblich sein können, unterhaltsrechtlich nicht einkommensmindernd auswirken, und zwar weder beim Kindes- noch beim Ehegattenunterhalt (BGH, Urteil v. 9.11.1994, XII ZR 206/93; BGH, Urteil v. 19.6.2002, XII ZR 173/00).
Von dieser Rechtsprechung ist der BGH abgerückt, und zwar für die Fälle, in denen dem umgangsberechtigten Elternteil das anteilige Kindergeld nicht zugutekam (§ 1612b Abs. 5 BGB) und er die angemessenen Kosten für die Ausübung des Umgangs nicht aus den Mitteln bestreiten konnte, die ihm über den notwendigen Selbstbehalt hinaus verblieben (BGH, Urteil v. 23.2.2005, XII ZR 56/02). Zutreffend weist der BGH auf die Verpflichtung jedes Elternteils zum Umgang mit seinem Kind hin (§ 1684 Abs. 1 BGB). Können die angemessenen Kosten dafür nicht aus dem Kindergeld bestritten werden, weil es dem Umgangsberechtigten ganz oder teilweise nach § 1612 b Abs. 5 BGB a. F. nicht zugutekommt, müsste der Unterhaltsverpflichtete für die Ausübung des Umgangsrechts Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Das Unterhaltsrecht darf aber nicht zu einer Sozialhilfebedürftigkeit führen (BGH, Urteil v. 10.7.1996, XII ZR 121/95) und darf den Unterhaltspflichtigen nicht, auch nicht mittelbar, an der Ausübung seiner Elternpflichten zum Wohl des Kindes (§ 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB) hindern. Welcher Umgang angemessen ist und welche Kosten deshalb zu berücksichtigen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, die i. S.d Kindeswohls zu bewerten sind (BGH, Urteil v. 23.2.2005, XII ZR 56/02; OLG Schleswig, Urteil v. 5.9.2005, 15 UF 63/05).
Aufgrund der Neufassung des § 1612b BGB (vgl. dazu Rz. 42) hat sich die Rechtslage wiederum geändert. Nunmehr profitiert jeder barunterhaltspflichtige Elternteil vom Kindergeld, da es den Bedarf des Kindes mindert. Übersteigen aber die Kosten für die Ausübung des angemessenen Umgangs die durch die Anrechnung des Kindergeldes bewirkte Bedarfsminderung, und k...