2.7.1 Junge Volljährige
Rz. 149
Nach §§ 1603 Abs. 2 Satz 2, 1609 Abs. 1 BGB stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres minderjährigen unverheirateten Kindern gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Für diese Kinder ist davon auszugehen, dass sie ungeachtet ihrer Volljährigkeit und des damit einhergehenden Endes der elterlichen Sorge eine Lebensstellung inne haben, die minderjährigen Kindern vergleichbar ist (BT-Drs. 13/7338 S. 21).
Rz. 150
Diesen Ansatz ergänzt und erweitert § 18 Abs. 4 für das Beratungsangebot der Träger der Jugendhilfe. Anspruchsberechtigt, eine Beratung und Unterstützung für die Geltendmachung von Unterhalts- und Unterhaltsersatzansprüchen zu erhalten, sind junge Volljährige (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Der Anspruch nach § 18 Abs. 3 ist also nicht davon abhängig, ob die jungen Volljährigen im Haushalt eines Elternteils oder der Eltern wohnen oder sich nicht mehr in einer allgemeinen Schulausbildung befinden. Dementsprechend können Unterhaltspflichten beurkundet werden, solange die unterhaltsberechtigte Person das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3).
2.7.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
Rz. 151
Für die rechtlichen Rahmenbedingungen ist zu differenzieren, ob der junge Volljährige zu den privilegierten Unterhaltsberechtigten i. S. d. §§ 1603 Abs. 2 Satz 2, 1609 Abs. 1 BGB gehört. Für die Privilegierung ist zum einen erforderlich, dass der junge Volljährige unverheiratet ist und im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebt. Zum anderen muss sich der junge Volljährige in einer allgemeinen Schulausbildung befinden. Das Tatbestandsmerkmal der "allgemeinen Schulausbildung" wird im BGB nicht näher definiert. Im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung ist es sachgerecht, zur Ausfüllung des Begriffs die Grundsätze heranzuziehen, die zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG entwickelt wurden (BGH, Urteil v. 10.5.2001, XII ZR 108/99). Danach bestehen folgende Voraussetzungen, um eine allgemeine Schulausbildung annehmen zu können:
Rz. 152
- Ziel des Schulbesuchs muss der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für eine Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule sein. Der Besuch einer Hauptschule, einer Realschule, eines Gymnasiums oder einer Fachoberschule ist davon stets umfasst, und zwar unabhängig von der Rechtsform als öffentliche Schulen, kirchliche Schulen oder Privatschulen. Nicht einbezogen sind aber Schulen, die neben allgemeinen Ausbildungsinhalten Wissen vermitteln, das auf ein konkretes Berufsbild bezogen ist (BGH, Urteil v. 10.5.2001, XII ZR 108/99).
Rz. 153
- Der Schulbesuch muss die Zeit und Arbeitskraft des jungen Volljährigen so ausschöpfen, dass eine Erwerbstätigkeit neben dem Schulbesuch nicht möglich ist. Die Unterrichtszeit darf daher im Regelfall 20 Wochenstunden nicht unterschreiten (BGH, Urteil v. 10.5.2001, XII ZR 108/99).
Rz. 154
- Die Schule muss so organisiert sein, dass die Teilnahme am Unterricht nicht dem Belieben des Schülers obliegt, sondern die Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Schulbesuchs gewährleistet ist (BGH, Urteil v. 10.5.2001, XII ZR 108/99).
Rz. 155
Diese Voraussetzungen erfüllen neben den Haupt- und Realschulen, Gymnasien und Fachoberschulen die höhere Handelsschule (BGH, Urteil v. 9.1.2002, XII ZR 34/00), das Berufskolleg (OLG Köln, Urteil v. 17.5.2002, 25 UF 269/01), die Volkshochschule beim kontrollierten Unterricht, der zum Realschulabschluss führen soll (BGH, Urteil v. 10.5.2001, XII ZR 108/99) sowie das Berufsgrundbildungsjahr, das dem Erwerb des Hauptschulabschlusses dient (OLG Celle, Urteil v. 6.8.2003, 15 UF 14/03).
2.7.2.1 Privilegierte junge Volljährige
Rz. 156
Für privilegierte junge Volljährige gelten grundsätzlich die Regelungen, wie sie zum Unterhalt minderjähriger Kinder dargestellt wurden (Rz. 24 bis 67). Folgende Besonderheiten sind zu beachten.
2.7.2.1.1 Maß des Unterhalts
Rz. 157
Nach § 1610 Abs. 2 BGB erfasst der Unterhaltsanspruch eine angemessene Vorbildung zu einem Beruf. Deshalb unterfällt die Zeit der allgemeinen Schulausbildung grundsätzlich der Unterhaltspflicht. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt.
Rz. 158
Verzögert sich die Schulausbildung aufgrund eines vorübergehenden leichten Versagens, müssen dies die Unterhaltsverpflichteten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) hinnehmen (OLG Hamm, Beschluss v. 14.10.2004, 11 WF 168/04). Handelt es sich um ein schweres Versagen (mehrfaches Sitzenbleiben, Nachholen des Hauptschulabschlusses nach 2-fachem Abbruch einer Berufsausbildung) ist unter Abwägung aller Umstände, die zu der Verzögerung der Schulausbildung beigetragen haben, festzustellen, ob trotz der langen Schulzeit noch eine Erfolgsprognose gestellt werden kann (OLG Köln, Urteil v. 9.11.2004, 4 UF 90/04; OLG Thüringen, Beschluss v. 10.12.2004, 1 UF 122/03). Verletzt aber der junge Volljährige seine Obliegenheit, planvoll und zielstrebig seine Ausbildung durchzuführen, büßt er seinen Unterhaltsanspruch ein und muss seinen Lebensunterhalt selbst ...