Rz. 4
Fraglich ist aber, ob darüber hinaus ein subjektiv-individueller Rechtsanspruch auf die Betreuung innerhalb einer Wohnform besteht.
Ein solcher Leistungsanspruch richtet sich nach der sog. Schutzzwecktheorie. Danach liegt ein subjektiv-öffentliches Recht vor, wenn der Rechtssatz eine Verhaltenspflicht enthält, zumindest auch die Individualinteressen des Einzelnen befriedigen und nicht ausschließlich öffentliche Interessen verwirklichen soll und dem Einzelnen die Rechtsmacht einräumt, seine Individualinteressen (gerichtlich) durchzusetzen (vgl. Komm. zu § 11).
Rz. 5
Nach Abs. 1 Satz 1 ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, betreute Wohnformen anzubieten. Diese Verhaltenspflicht dient "zumindest auch" Individualinteressen, weil sie aufgrund individualisierender Tatbestandsmerkmale einen geschützten Personenkreis erkennen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet.
Absatz 1 Satz 1 begünstigt ausdrücklich allein erziehende Mütter oder Väter, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung diese Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes benötigen. Dies verdeutlicht, dass der Gesetzgeber die Verhaltenspflicht in Abs. 1 Satz 1 nicht nur im allgemeinen Interesse, sondern zumindest auch im Individualinteresse einer besonders schützenswerten gesellschaftlichen Gruppe geschaffen hat.
Rz. 6
Geht man von einem gesetzlich anerkannten Individualinteresse aus, stellt sich die weitere Frage der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der Interessen (vgl. Komm. zu § 11).
Individuelle Durchsetzungsbefugnisse entstehen, wenn eine staatliche Handlung in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreift (Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rz. 26). Oftmals helfen die Grundrechte nicht weiter, weil sie in aller Regel als Abwehr- und nicht als Leistungsrechte konzipiert sind (Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rz. 5; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 72).
Die Besonderheit bei einem Anspruch der Mutter nach § 19 besteht darin, dass er Art. 6 Abs. 4 GG ausgestaltet, der jeder Mutter einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft zuerkennt. Artikel 6 Abs. 4 GG enthält ein "echtes" Grundrecht i. S.e. subjektiv-öffentlichen Rechts auf Schutz und Fürsorge (BVerwG, Urteil v. 27.8.1974, II C 38.73; BAG, Urteil v. 23.10.1991, 7 AZR 56/91), dem objektiv-rechtlich ein bindender Auftrag an den Gesetzgeber entspricht (BVerfG, Urteil v. 25.1.1972, 1 BvL 3/70). Das Grundrecht soll die besonderen Belastungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und biologischen Mutterschaft ausgleichen (BVerfG, Beschluss v. 10.2.1982, 1 BvL 116/78) und konkretisiert das Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Urteil v. 25.1.1972, 1 BvL 3/70) im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums; es gewährt Schutz- und Leistungsrechte sowie Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen (Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rz. 44).
§ 19 bietet bereits für werdende Mütter betreute Wohnformen an und wird damit dem besonderen Schutz- und Fürsorgeanspruch der Mutter aus Art. 6 Abs. 4 GG gerecht. Auch in der Zeit nach der Geburt haben allein erziehende Mütter unter den genannten Voraussetzungen einen subjektiv-individuellen Rechtsanspruch auf die normierten Leistungen.
Rz. 7
Problematisch ist allerdings, ob auch allein erziehenden Vätern, die sich nicht auf den direkten Schutz aus Art. 6 Abs. 4 GG berufen können, ein solcher subjektiv-individueller Rechtsanspruch zusteht. Grundsätzlich rechtfertigt Art. 6 Abs. 4 GG abweichend von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG Ungleichbehandlungen von Mann und Frau wegen des Geschlechts, soweit sie an die Mutterschaft anknüpfen (BSG, Urteil v. 27.6.1991, 4 REg 2/91; Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rz. 44). Art. 6 Abs. 4 GG ist damit Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung (BVerfG, Urteil v. 25.1.1972, 1 BvL 3/70).
Allerdings sind allein erziehende Mütter und Väter nach der Geburt in der gleichen Lebenssituation. Das Geschlecht und die Mutterschaft sind in diesem Fall nicht mehr Anknüpfungspunkt, so dass eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist und allein erziehenden Vätern als Ausfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ebenfalls ein subjektiv-individueller Rechtsanspruch zusteht. Hierfür spricht auch die Entscheidung des Gesetzgebers, allein erziehende Väter in den Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 aufzunehmen und keine Unterscheidung zwischen Männern und Frauen zu treffen. Dies ist außerdem deswegen sachgerecht, weil letztlich das Leistungsangebot einer betreuten Wohnform in erster Linie dem Kind zugute kommt. Nicht ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang, welchen Geschlechts der allein erziehende Elternteil nach der Geburt des Kindes ist.
Anspruchs- und leistungsberechtigt ist demnach der alleinsorgende Elternteil (vgl. insoweit auch § 6 Abs. 1 Satz 1 sowie § 5, wonach das Wunsch- und Wahlrecht dem Leistungsberechtigten zusteht) nicht jedoch den Kindern (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 23.4.2007, 3 M 215/06).