2.12.1 Überblick
Rz. 21a
§ 19 geht anderen jugendhilferechtlichen Vorschriften bei gemeinsamer Betreuung von Mutter und Kind vor (vgl. VG München, Urteil v. 15.2.2006, M 18 K 04.6150; OVG Münster, Urteil v. 26.4.2004).
Die Betreuung nach § 19 steht zwar im Dienst der Pflege und Erziehung des Kindes, indem sie eine der Entstehung eines Erziehungsdefizits beim Kind vorbeugende Art des Zusammenlebens sicherstellen soll. Sie setzt aber bei einem Persönlichkeitsdefizit der Mutter bzw. des Vaters an und ist Hilfe zu deren Persönlichkeitsentwicklung (vgl. OVG Münster, Urteil v. 30.11.2000). Dieser Rechtsprechung ist zu folgen, da durch die Gewährung von Hilfe nach § 19 zugleich ein weitergehender Bedarf in der Person der Mutter bzw. des Vaters zu decken ist, der ansonsten eine Aufspaltung der Hilfen notwendig machen würde (VG München, Urteil v. 15.2.2006, M 18 K 04.6150; OVG Münster, Urteil v. 26.4.2004).
2.12.2 § 34 SGB VIII
Rz. 22
Nach dieser Vorschrift sollen Kinder und Jugendliche durch Heimerziehung oder sonstige betreute Wohnformen in ihrer Entwicklung gefördert werden. Heimerziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind oder der Jugendliche auf kürzere oder längere Zeit seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in der eigenen Familie, sondern in einer anderen Gruppe hat.
Wie bei § 19 sind die Eltern mit der Erziehung des Kindes überfordert. Anders als bei § 19 wird aber durch die Heimerziehung gerade nicht der Familienverbund gefördert, sondern soll durch die Distanz zwischen Eltern und Kindern eine Entlastung der Beziehung erreicht werden.
Dann, wenn z. B. der Mutter des Kindes für dieses Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 zu gewähren ist, scheidet eine gemeinsame Betreuung von Mutter und Kind gemäß § 19 aus (vgl. BVerwG Beschluss v. 22.6.2005, 5 B 69/04).
Da beide Regelungen trotz ähnlicher Ausgangslagen verschiedene Lösungsmodelle bieten, stehen die Hilfeleistungen eigenständig nebeneinander.
2.12.3 § 14 SGB IX
Rz. 22a
§ 14 SGB IX bestimmt, dass im Regelfall bei der Beantragung von Rehabilitationsleistungen der zuerst angegangene Träger zuständig wird. Die Vorschrift ist in der vorliegenden Konstellation nicht anwendbar, da die Unterbringung und Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung i. S. d. § 19 keine Hilfe zu selbstbestimmtem Leben in einer betreuten Wohnmöglichkeit gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX darstellt. Alle Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX setzen voraus, dass sie gegenüber einem behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen erbracht werden (vgl. §§ 1, 55 Abs. 1 SGB IX) (Bayerischer VGH, Beschluss v. 8.8.2007, 12 CE 07.1443).
2.12.4 § 50 SGB XII
Rz. 23
Die Vorschrift überträgt inhaltsgleich den bis zum 31.12.2004 geltenden § 36b BSHG.
§ 50 SGB XII gewährt Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft in Form von
- ärztlicher Behandlung und Betreuung sowie Hebammenhilfe,
- Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln,
- Pflege in einer stationären Einrichtung und
- häuslicher Pflegeleistungen nach § 65 Abs. 1 SGB XII.
Rz. 24
Während § 50 SGB XII damit seinen Schwerpunkt im medizinischen und pflegerischen Bereich setzt, bezweckt § 19 in erster Linie erzieherische Hilfe.
Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 gehen die Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem Zwölften und dem Zweiten Buch vor. Eine solche Anspruchskonkurrenz tritt aber nur bei gleicher Zielrichtung der betrachteten Normen auf.
§ 19 SGB VIII und § 50 SGB XII unterstützen zwar beide die werdende Mutter, jedoch mit unterschiedlicher Zielrichtung, so dass keine Anspruchskonkurrenz gegeben ist und beide Hilfeleistungen selbständig nebeneinander stehen.
2.12.5 § 67 SGB XII
Rz. 25
Die Regelung überträgt inhaltsgleich den bisherigen § 72 Abs. 1 BSHG, der wiederum auf der Entscheidung des BVerfG zur Gefährdetenhilfe beruhte (BVerfG, Urteil v. 18.7.1967, 2 BvF 3/62).
Nach § 67 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft dazu nicht fähig sind. Bei den "besonderen Lebensverhältnissen" kann es sich dabei auch um gewaltgeprägte Lebensumstände handeln (von Renesse, in: Jahn, Kommentar zum SGB XII, § 67 Rz. 12).
Überschneidungen zwischen dem Anwendungsbereich des § 19 und dem des § 67 SGB XII sind insbesondere dann vorstellbar, wenn fehlende Erziehungskompetenz mit gewaltgeprägten familiären Lebensumständen einhergeht. Alleinerziehende mit einem Kind unter 6 Jahren haben in einer solchen Konstellation einen Anspruch auf beide Hilfen.
§ 67 Satz 2 SGB XII regelt, dass in einem solchen Fall die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vorgehen.
Rz. 26
Etwas anderes muss allerdings dann gelten, wenn unterschiedliche Sachverhalte und daher Zielsetzungen der Leistungen vorliegen. Flüchtet sich beispielsweise eine alleinsorgeberechtigte Mutter mit ihrem Kind unter 6 Jahren vor ihrem gewalttätigen Lebenspartner in ein Frauenhaus, ist Hilfe nach § 67 Satz 1 SGB XII zu gewähren. Den Schwerpunkt der Leistung bildet in diesem Fall nämlich nicht die Stärkung der Erziehung...