0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Das bis zum 31.12.1990 geltende JWG enthielt keine Vorgängervorschrift zur Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen; dieser Themenbereich wurde erstmals mit § 20 in das Leistungsspektrum der Jugendhilfe aufgenommen. Durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) v. 10.12.2008, BGBl. I S. 2403, wurde die Vorschrift an den mit dem Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG) v. 27.12.2004, BGBl. I S. 3852, eingeführten Terminus "Kindertagespflege" (anstelle von "Tagespflege") angepasst. Durch Art. 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) wurde die Vorschrift mit Wirkung zum 10.6.2021 neu gefasst.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Regelung verfolgt das Ziel, Kindern bei Ausfall eines oder sogar beider Elternteile den gewohnten familiären Lebensbereich zu erhalten und sie so in einer ohnehin schwierigen Situation nicht noch mit einer fremden Umgebung zu konfrontieren. Insbesondere nach dem Tod eines Elternteils bliebe dem überlebenden, berufstätigen Elternteil vor allem bei kleinen Kindern oftmals ohne die Hilfeleistung nach § 20 keine andere Wahl, als das Kind in eine Pflegefamilie oder ein Heim zu geben oder aber seine Berufstätigkeit aufzugeben und Sozialhilfe zu beziehen. Die Vorschrift bietet Hilfestellung in diesen für Familien besonders schwierigen Lebenssituationen.
Allerdings geht die Rechtsprechung von einer nur temporären Notfallsituation aus, bei der Hilfe gemäß § 20 gewährt werden soll. So sollen Jugendhilfemaßnahmen nach § 20 ausscheiden, wenn ein Elternteil u. a. aus gesundheitlichen Gründen bei der Versorgung des Kindes im elterlichen Haushalt nicht nur für einen vorübergehenden Zeitraum ausfällt. Ziel der Unterstützung nach § 20 sei es nämlich, dem Kind seinen familiären Erziehungs- und Versorgungsbereich zu erhalten, bis die Eltern wieder in der Lage seien, diese Aufgabe selbst zu übernehmen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 23.2.2012, L 9 SO 26/11). Dies kommt nunmehr in der Neufassung durch das KJSG in Abs. 1 Nr. 3 zum Ausdruck.
2 Rechtspraxis
2.1 In demselben Haushalt lebendes Kind
Rz. 3
Leistungsvoraussetzung ist, dass in dem Haushalt ein Kind lebt. Im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VIII sind hierunter unter 14-Jährige zu verstehen. Dies entspricht der Intention der Vorschrift, in Notfällen zu helfen. Jugendliche ab 14 Jahren sind altersgemäß selbständiger und wissen sich i. d. R. selbst ausreichend zu helfen.
Rz. 4
Aus dem reinen Wortlaut ergibt sich nicht, zu welchem Zeitpunkt das Kind diese Altersgrenze noch nicht überschritten haben darf. Nach der Interpretation des Bundessozialgerichts kommt es bei den Vorschriften über die Haushaltshilfe in den einzelnen Sozialleistungsbereichen allerdings auf das Alter des Kindes zu Beginn der Leistung an und nicht darauf, ob die Leistung mit der Vollendung des 14. Lebensjahres des Kindes endet. Dies legt eine Gesamtbetrachtung der verschiedenen Sozialleistungsbereiche und insbesondere der Vergleich mit § 38 Abs. 1 SGB V nahe (BSG, Urteil v. 3.7.1991, 9b RAr 10/90, SozR 3-4100 § 56 Nr. 4 = SozSich 1992, RsprNr. 4395 = Breithaupt 1992 S. 682, 684).
2.2 Ausfall des bisher überwiegend betreuenden Elternteils (Abs. 1 Nr. 1)
Rz. 5
Mit der Neufassung der Vorschrift durch das KJSG wird die Integration der Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen in den Katalog der Hilfen zur Erziehung rückgängig gemacht und ein Rechtsanspruch auf diese Hilfe außerhalb der Hilfen zur Erziehung in Abs. 1 geschaffen. In Nr. 1 bis 4 sind kumulativ die Voraussetzungen dieses Anspruchs geregelt. Diese Voraussetzungen orientieren sich an den bisherigen Regelungen der Vorschrift, legen aber nicht mehr die überkommene Konstellation zugrunde, dass ein Elternteil die familiäre Versorgung im Haushalt sicherstellt, während der andere Elternteil berufstätig ist. Dies ist nicht mehr zeitgemäß (BT-Drs. 19/28870 S. 103).
Rz. 6
Die Abgrenzung ist schwieriger, wenn beide Elternteile bisher (oftmals dann in Teilzeit) beschäftigt waren und sowohl den Unterhaltserwerb für die Familie als auch die Kindesbetreuung zu gleichen Teilen wahrgenommen hatten. In diesem Falle handelt es sich dem Wortlaut nach gerade nicht um eine "überwiegende" Betreuung des ausfallenden Elternteils. Für den verbleibenden Elternteil besteht aber die gleiche prekäre Situation, wenn der ausfallende Partner früher etwa hälftig gearbeitet hat und darüber hinaus hälftig der Betreuung des Kindes nachgekommen ist. Zu beachten ist nämlich, dass mit dem Ausfall eines Elternteils nicht nur der hälftige Betreuungsanteil für das Kind entfiele, sondern gleichzeitig die Hälfte der Familieneinkünfte wegfiele. Es entstünde damit ein doppelter – persönlicher und finanzieller – Versorgungsengpass. Der verbliebene Elternteil wäre damit in den meisten Fällen gezwungen, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, um den Unterhalt weiterhin angemessen finanzieren zu können. Es bestünde eine solche Notsituat...