Rz. 30
Absatz 2 benennt die gemeinsamen pädagogischen sowie betreuerischen Ziele von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege, rechtlich ausgeprägt als Sollregelung. Daraus wird nochmals in besonderem Maße deutlich, was in der Definition der Tageseinrichtung durch das Wort "fördern" (Abs. 1 Satz 1) zum Ausdruck kommt, nämlich dass sich der Sinn der Betreuung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nicht in der bloßen "Verwahrung" der Kinder erschöpft, sondern ein pädagogisches Angebot beinhalten soll. Der Förderauftrag verlangt keine bestimmte Organisationsform der Kindertagespflege, etwa in Gestalt einer BGB-Gesellschaft; maßgeblich ist allein die Geeignetheit der Kindertagespflegeperson (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 12.7.2017, 12 S 102/15, Rz. 24).
Rz. 31
Die in Abs. 2 aufgelisteten Ziele der Tageseinrichtungen und Kindertagespflege knüpfen an die in § 1 Abs. 1, 3 Nr. 1, 2, 4 angeführten allgemeinen Ziele des Kinder- und Jugendhilferechts an und sind in 3 Abschnitt e untergliedert. Ein Schwerpunkt liegt auf der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes durch Erwerb von "Ich-, Sozial- und Sachkompetenzen" (BT-Drs. 15/3676 S. 31), ein zweiter auf der Unterstützung und Ergänzung der familiären Erziehung. Ein dritter Schwerpunkt betrifft die Unterstützung der Erziehungsberechtigten bei der Koordinierung von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit. Ziel dieser Neuregelung der Programmvorgaben von Kindertagespflege und Betreuung in Tageseinrichtungen ist die Erhaltung der Innovationsfähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft und Anpassung des Angebots sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht an den westeuropäischen Standard (BT-Drs. 15/3676 S. 2). Dies gilt auch und gerade auch im Hinblick auf die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort in einer globalisierten Wirtschaftsordnung (BT-Drs. 15/4045 S. 35). Den Familien soll die Erfüllung des Kinderwunsches erleichtert und die Chancen für Familien und Gesellschaft sollen erweitert werden (BT-Drs. 15/3676 S. 21). Die nunmehr vorgenommene Auflistung ist nicht im Sinne einer Rangfolge der Prioritäten zu verstehen. Vielmehr stehen alle 3 beschriebenen Betreuungsziele als Qualitätsmerkmale gleichberechtigt nebeneinander (BT-Drs. 15/3676 S. 2).
2.3.1 Förderung der Entwicklung zu eigenverantwortlicher und gemeinschaftsfähiger Persönlichkeit (Abs. 2 Nr. 1)
Rz. 32
Durch das KJSG wurde die bereits ursprünglich formulierte Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer "eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" um den Aspekt der Selbstbestimmung erweitert (BT-Drs. 19/26107 S. 81). Bereichsspezifisch soll die im gesamten Recht der Kinder und Jugendhilfe im Vordergrund stehende individuelle Entwicklung um die Zielsetzung der Selbstbestimmung bereichert werden.
2.3.2 Unterstützung und Ergänzung von Erziehung und Bildung in der Familie (Abs. 2 Nr. 2) und Hilfe bei der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit (Abs. 2 Nr. 3)
Rz. 33
Nr. 2 und Nr. 3 formulieren die Ziele der Unterstützung und Ergänzung familiärer Erziehung und Unterstützung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung. Hier zeigt sich das gewandelte Verständnis der Kinderbetreuung weg von einer rein pädagogischen Leistung – häufig zur Vorbereitung auf die Schulausbildung und das Erlernen von Sozialkompetenzen im Umgang mit Mitmenschen – hin zu einer die Familie ergänzenden Erziehung im Sinne einer Erziehungspartnerschaft (BT-Drs. 15/3676 S. 24) im Hinblick auf den gesteigerten Bedarf nach Erwerbstätigkeit aller Erziehungsberechtigten. Damit ist auch als Ziel die wohnortnahe Betreuung und Anpassung der Öffnungszeiten an den bestehenden Bedarf umfasst. Durch das KJSG wurde Nr. 3 in Satz 1 klarstellend um den Aspekt der familiären Pflege erweitert (BT-Drs. 19/26107 S. 81). Durch den mit dem KJSG neu eingefügten Satz 2 wird hervorgehoben, dass zur Erreichung der Förderziele die Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und die Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe sowie anderen Leistungserbringern von zentraler Bedeutung sind. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege nur dann ihre volle Wirksamkeit entfalten können, wenn eine enge Kooperation und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern und anderen Erziehungsberechtigten besteht (BT-Drs. 19/26107 S. 81). Der ebenfalls durch das KJSG eingefügte Satz 3 hebt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Tageseinrichtungen und des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe mit anderen Rehabilitationsträgern bei gemeinsamer Betreuung von Kindern mit und Kindern ohne Behinderungen hervor. Diese war bislang in § 22a Abs. 4 Satz 2 geregelt (vgl. auch die Komm. zu § 22a Rz. 23).