Rz. 43
Ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, der die vorherige gerichtliche Geltendmachung der Gewährung eines Platzes in einer Tageseinrichtung voraussetzt (§ 839 Abs. 3 BGB), ist gerichtet auf Geldersatz (Georgii, NJW 1996 S. 686, 689 f.). Zuständig für einen solchen Anspruch ist das Landgericht, § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG, Art. 34 Satz 3 GG. Aufgrund der Bindungswirkung einer etwaigen vorausgehenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides (§ 121 VwGO) kann eine Aussetzung des Verfahrens (§ 148 ZPO) zweckmäßig sein (vgl. Kuntz, jM 2015 S. 233).
Rz. 44
Hinsichtlich des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz bei der Altersgruppe der über dreijährigen Kinder (§ 24 Abs. 3 n. F.) wurden in der Vergangenheit von dem LG Wiesbaden die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG bejaht; die sorgeberechtigten Eltern seien in die gegenüber dem anspruchsberechtigten Kind bestehende Amtspflicht einbezogen (Urteil v. 19.1.2000, 5 O 182/99 Rz. 26). Als Schaden können nach dieser Ansicht die Aufwendungen für Kindertagespflege abzüglich der ersparten Aufwendungen für einen Platz in einer Tageseinrichtung sowie ein entstehender Verdienstausfall des Erziehungsberechtigten, der auf diese Weise an der Berufsausübung gehindert wird, geltend gemacht werden (LG Wiesbaden, Urteil v. 19.1.2000, a. a. O., Rz. 30, m. w. N.; Georgii, NJW 1996 S. 686, 689 f.).
Rz. 45
Im Zuge der Einführung des Rechtsanspruchs für die Altersgruppe der unter dreijährigen Kinder zum 1.8.2013 wurde in der Literatur die Frage diskutiert, ob dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe eine Exkulpationsmöglichkeit aufgrund eines objektiv bestehenden Fachkräftemangels offen steht (bejahend z. B. Meysen/Beckmann, Rz. 472; ablehnend z. B. Rixen, NJW 2012 S. 2839, 2843).
Rz. 46
Das LG Leipzig hat die Argumentation des LG Wiesbaden aus dem Jahre 2000 in 3 Verfahren, in denen Mütter einen Verdienstausfall eingeklagt hatten, aufgegriffen und den geltend gemachten Schadensersatz zugesprochen (Urteile v. 2.2.2015, 7 O 1455/14, 7 O 1928/14, 7 O 2439/14). Nach dem LG Leipzig bezwecke die aus § 24 Abs. 2 resultierende Amtspflicht nach dem Willen des Gesetzgebers sowie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch die Wahrnehmung der Interessen der Eltern und entfalte somit Drittschutz i. S. d. § 839 BGB (vgl. LG Leipzig, Urteil v. 2.2.2015, 7 O 1455/14 Rz. 26). Der dem Erziehungsberechtigten zu ersetzende Schaden umfasse auch den entstandenen Verdienstausfall, der dadurch entstehe, dass er gezwungen sei, die Elternzeit zu verlängern, weil er keinen Betreuungsplatz zugeteilt bekommen habe (vgl. LG Leipzig, Urteil v. 2.2.2015, a. a. O., Rz. 46). Diesen Entscheidungen des LG Leipzig wird entgegengehalten, dass sich aufgrund des Umstandes, dass § 24 Abs. 2 bewusst lediglich die Kinder als Anspruchsberechtigte benenne, schwerlich begründen lasse, dass es sich um eine auch im Interesse der Eltern bestehende Amtspflicht handeln solle (vgl. Pernice-Warnke, FamRZ 2015 S. 905).
Das OLG Dresden hat diese Entscheidungen des LG Leipzig mit den Urteilen v. 26.8.2015 (1 U 319/15, 1 U 320/15, 1 U 321/15) aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Nach Ansicht des OLG Dresden sind die Personensorgeberechtigten nicht geschützte Dritte der dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe obliegenden Amtspflicht auf Verschaffung eines Kindertagesstättenplatzes (OLG Dresden, 1 U 319/15 Rz. 44). Zur Begründung führt der Senat an, dass, wenn der Gesetzgeber die Eltern nicht nur ausschließlich im Reflex der frühkindlichen Förderung des Kindes, sondern als geschützte Dritte hätte einbeziehen wollen, zumindest auch die Förderungsgrundsätze aus § 22 Abs. 2 Nr. 3 in § 24 Abs. 2 genannt worden wären (OLG Dresden, a. a. O., Rz. 62). Selbst wenn die Personensorgeberechtigten geschützte Dritte wären, werde ein Verdienstausfallschaden jedenfalls nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst, da es sich nicht um einen Schaden des Kindes handele (OLG Dresden, a. a. O., Rz. 67 ff.).
Die gegen diese Entscheidung des OLG Dresden gerichtete Revision hatte Erfolg. Der BGH bejahte eine Amtspflichtverletzung (BGH, Urteile v. 20.10.2016, III ZR 278/15, III ZR 302/15 sowie III ZR 303/15, jeweils Rz. 15 ff.). Die personensorgeberechtigten Eltern seien geschützte Dritte der mit § 24 Abs. 2 Satz 1 korrespondierenden Amtspflicht, dem Kind bei rechtzeitiger Bedarfsanmeldung ab Vollendung des ersten Lebensjahres einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung hebt der Senat maßgeblich auf den in § 22 Abs. 2 Nr. 3 normierten Fördergrundsatz ab, wonach Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege den Eltern dabei helfen sollen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können. Dieser Grundsatz gelte ohne Einschränkung für den gesamten Dritten Abschnitt des Zweiten Kapitels und damit auch für § 24 Abs. 2. Auch ein Verdienstausfallschaden werde von dem Schutzbereich der Amtspflicht umfasst, da sich di...