Rz. 5
§ 27 ist die zentrale Norm der Hilfen zur Erziehung. In dieser Vorschrift werden die Tatbestandsvoraussetzungen geregelt, welche vorliegen müssen, damit ein Anspruch auf die einzelnen, in § 28 bis § 35 konkretisierten Hilfen besteht. Die Vorschrift spricht von einem Anspruch der Personensorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung, gestaltet diese Hilfe also als ein Leistungsgesetz. Sie stellt die Voraussetzungen bewusst allgemein und niedrigschwellig auf. Es genügt, dass eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für die Entwicklung des Kindes geeignet und notwendig ist. Dabei hat der Gesetzgeber schon im Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz — KJHG, BT-Drs. 11/5948 S. 67 f.) darauf hingewiesen, dass die negative Formulierung der Leistungsvoraussetzungen der Erziehungshilfe – "... entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist ..." – verfassungsrechtlich seinen Grund in der autonomen, für die Erziehung des Kindes selbst verantwortlichen Familie hat, weil bereits das BVerfG davon ausgegangen ist, das diejenigen, die einem Kind das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen (BVerfG, Beschluss v. 29.7.1968, 1 BvL 20/63). Von diesem Leitbild der Familie bzw. der elterlichen Sorge, die auch geprägt ist von § 1631 Abs. 1 BGB, der die Personensorge über das Kind regelt, ist der gesamte Bereich der Hilfe zur Erziehung geprägt. Aus diesen Grundentscheidungen folgt, dass der Staat nicht generell die Hilfebedürftigkeit der Familie bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben unterstellen kann, sondern für sein Tätigwerden im Bereich der Erziehung (insbesondere bei der Formulierung von Leistungsvoraussetzungen für die Hilfe zur Erziehung) einen Hilfebedarf voraussetzen muss, der durch elterliches Handeln nicht erfüllt wird.
Rz. 6
Ratio legis von § 27 ist es daher, ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen zwischen dem verfassungsrechtlich garantierten Recht der elterlichen Sorge nach Art. 6 Abs. 1 GG und dem Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 GG, das in erster Linie auf dem Schutzbedürfnis des Kindes beruht, dem als Grundrechtsträger eigene Menschenwürde und ein eigenes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG zukommt (BVerfG, Beschluss v. 29.7.1968, 1 BvL 20/63). Es wird daher mit § 27 besonders hervorgehoben, dass zu beachtende Zielsetzung bei den Hilfen zur Erziehung letztlich das Wohl der Kinder und Jugendlichen ist, was bei der Gewährung der Hilfen und bei der Auslegung der Vorschrift maßgeblich ist. Dieser Vorrang des Kindeswohls wird sowohl vom Gesetzgeber (vgl. etwa auch § 1697a BGB) als auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer wieder als Leitbild benannt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (grundlegend BVerfG, Beschluss v. 29.7.1968, 1 BvL 20/63) darf das Elternrecht als pflichtgebundenes Recht nur im Interesse des Kindes ausgeübt werden, denn die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung der Kinder ist wesensbestimmender Bestandteil des Elternrechtes. Das BVerfG spricht (a. a. O.) daher treffend auch von "Elternverantwortung". Aus dem Kindeswohlprinzip folgt, dass die Hilfe individuell auf den konkreten Einzelfall abzustimmen ist und flexibel gehandhabt werden soll. Die Neugestaltung des SGB VIII durch das KICK hat den Auftrag der Jugendhilfe, das Kindeswohl bei Gefährdung zu schützen, in § 8a nunmehr konkret ausgestaltet, der den Schutzauftrag des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdung formuliert. Die Regelung des § 8a ist auch und gerade im Rahmen der Hilfe zur Erziehung zu beachten und als Auslegungshilfe heranzuziehen. Auch die Änderungen, welche das BKiSchG vorgenommen hat, verdeutlichen nochmals, dass das Kindeswohlprinzip oberster Leitgedanke des SGB VIII ist.
Rz. 7
Abs. 2 Satz 1 ordnet an, dass Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt wird und stellt damit klar, dass als typische Arten der Hilfe insbesondere die in §§ 28 bis 35 vorgesehenen Leistungen gelten. Für jede dieser einzelnen Leistungen müssen nach Abs. 2 Satz 2 die Grundvoraussetzungen des Abs. 1 vorliegen: Zum einen muss eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet sein. Zum anderen muss hinsichtlich der begehrten Hilfe Geeignetheit und Notwendigkeit vorliegen. Mit Abs. 2 Satz 3 wird im Rahmen einer Kann-Regelung ein allgemeines Kombinationsgebot geregelt, wonach mehrere Leistungen im Kindeswohlinteresse zusammen bewilligt werden können. Die ursprünglich in Abs. 2 Satz 3 enthaltene Regelung über die Auslandsgewährung ist mit dem KJSG v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 in § 38 überführt worden, der deutlich umfangreichere Regelungen enthält als bisher.
Rz. 8
§ 27 Abs. 1 ist damit als Grundtatbestand aller Hilfeformen ausgebildet und im Zusammenhang mit den einzelnen Hilfetypen zu lesen. Die einzelnen Hilfsangebote werden in den ...