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Voraussetzung der rechtmäßigen Hilfegewährung ist ein Antrag des Anspruchsinhabers, also des insoweit Personensorgeberechtigten. Ein ausdrückliches gesetzliches Antragserfordernis für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung existiert nicht (zutreffend OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.1.2022, 12 A 489/19). Daher ist ein förmlicher Antrag nicht erforderlich; der Antrag kann daher auch in Form schlüssigen Verhaltens gestellt werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.1.2022, a. a. O.). Es gelten im Übrigen die Regelungen über die Auslegung von Willenserklärungen §§ 133, 157 BGB analog. Die Forderung nach der förmlichen Antragstellung ist auch nicht notwendig; der Grundsatz des Entscheidungsprimaten des Jugendamts wird insoweit von der ausdrücklichen Regelung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 geschützt, der für den Ersatz einer selbstbeschafften Leistung voraussetzt, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt. Im SGB VIII ist ein ausdrückliches Antragserfordernis nicht geregelt. § 40 Abs. 1 SGB I ordnet ausdrücklich an, dass Ansprüche auf Sozialleistungen bereits dann entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Soweit § 16 SGB I grundsätzlich für alle Sozialversicherungszweige das Erfordernis eines Antrags vorsieht, dient diese Vorschrift insbesondere lediglich dazu, das Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen, ist aber nicht – wie z. B. bei § 99 SGB VI – auch materielle Anspruchsvoraussetzung für die zu bewilligende Leistung bzw. für die Festlegung deren Beginns (vgl. im Übrigen zur Frage des Antragserfordernis weitergehend auch die Komm. zu § 35a). Allerdings setzt die Jugendhilfe im Hinblick auf Art. 6 GG nicht bereits dann ein, wenn dem Träger der Jugendhilfe die Voraussetzungen der Hilfe bekannt werden. Eine Gewährung von Hilfe von Amts wegen ist unzulässig. Der Gesetzgeber geht für eine solche Sichtweise grundsätzlich davon aus, dass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf, wie sich z. B. aus § 18 SGB XII ergibt; § 18 Abs. 1 SGB XII ordnet insoweit bereits bei Bekanntwerden der Voraussetzungen beim Sozialhilfeträger an, dass die Sozialhilfe einsetzt.
Voraussetzung ist daher, dass der Anspruchsinhaber durch einen Antrag oder eine eindeutige Willenserklärung sein Einverständnis zu dieser Hilfe erklärt (BVerwG, Urteil v. 21.6.2001, 5 C 6.00; VGH Baden-Württemberg, Entscheidung v. 19.4.2005, 9 S 109/03; BVerwG, Entscheidung v. 11.8.2005, 5 C 18.04). Eine Leistung gegen den Willen des Anspruchsberechtigten kommt nicht in Betracht. Diese Willensbekundung ist ggf. auch durch Auslegung zu ermitteln; auf die §§ 133, 157 BGB analog ist zurückzugreifen. Dabei spielen die Beweggründe des Betroffenen, die Begleitumstände und die Interessenlage eine Rolle. Treu und Glauben sind zu berücksichtigen. Wird daher z. B. lediglich telefonisch "Pflegegeld beantragt" kann dies – auch wenn sich der Antrag wörtlich lediglich auf die Gewährung von Pflegegeld als Annexleistung i. S. d. § 39 zu einer Hilfemaßnahme bezieht – dahingehend auszulegen sein, dass sich dieser Antrag auch auf die Bewilligung der Hilfemaßnahme selbst bezieht, da ein Anspruch auf Pflegegeld lediglich nach Bewilligung einer Maßnahme nach §§ 32 bis 35 oder § 35a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 besteht (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 31.1.2019, 12 E 1025/17). Die erforderliche Willensbekundung kann auch konkludent erfolgen (VG Darmstadt, Urteil v. 8.6.2010, 5 K 20983/07.DA [3]; vgl. zur Frage eines konkludenten Antrags auf Übernahme der Privatschulkosten auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.3.2017, 12 E 853/16, hier abgelehnt).
Auch ist darauf zu achten, dass diese Willensbekundung – bzw. der formlose Antrag – gegenüber dem Jugendhilfeträger grundsätzlich rechtzeitig zu äußern bzw. zu stellen ist; dies ergibt sich aus § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, der fordert, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen hat. Das Merkmal der Rechtzeitigkeit folgt aus der Notwendigkeit der Kenntnisgabe vor der Selbstbeschaffung. Die Kenntnisgabe hat so rechtzeitig erfolgen, dass der Jugendhilfeträger zu pflichtgemäßer Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist (BVerwG, Urteil v. 11.8.2005, 5 C 18/04 Rz. 19; BVerwG, Urteil v. 28.9.2000, 5 C 29/99 Rz. 11; auf die rechtzeitige Antragstellung stellt auch ab VG Köln, Urteil v. 15.12.2011, 26 K 1306/11). Das Fehlen eines Antrages hat zur Folge, dass etwa eine Heranziehung zu den Kosten nicht möglich ist, z. B. keine Inanspruchnahme der leiblichen Eltern nach §§ 91 f. (VG Düsseldorf, Urteil v. 25.8.2003, 19 K 7174/01; VG Arnsberg, Urteil v. 23.10.1995, 11 K 3211/94).
Daneben setzten auch Annexleistungen wie die Sicherstellung des Unterhaltes eines Kindes bei Fremdunterbringung in Vollzeitpflege nach §§ 33, 39 eine rechtmäßige Hil...