Rz. 33
Satz 1 regelt, dass die Hilfe zur Erziehung insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt wird; hierbei handelt es sich um (primär) sozialpädagogische, erzieherische Hilfen (OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.3.2020, 10 LA 292/18 Rz. 15); Abs. 3 verdeutlicht dies für die im Zusammenhang mit der Hilfe zur Erziehung häufig wichtigen therapeutischen Leistungen bei Ausbildungs- und Beschäftigungshilfen (OVG Lüneburg, a. a. O.; vgl. insoweit auch die Komm. zu Abs. 3). Der Begriff "insbesondere" macht deutlich, dass es sich um einen offenen Leistungskatalog handelt. Der Gesetzgeber hat diese Regelbeispiele aufgenommen, um dem Leistungsberechtigten ausreichende Informationen über das Leistungsangebot zu geben (BT-Drs. 11/5948 S. 69); die Normierung der Regelbeispiele dient daher der Transparenz des Leistungsangebots insbesondere auch durch eine bundeseinheitlichen Terminologie. Die §§ 28 bis 35 sind insoweit Regelbeispiele; es sollte ausdrücklich von einer abschließenden Beschreibung der einzelnen Hilfearten abgesehen werden (BT-Drs. 11/5948 S. 69). Die Hilfen nach §§ 28 bis 35 stellen Vorschläge dar, welche bei der Auswahl und Festlegung der Hilfe unterstützen sollen und eine mögliche Ausrichtung anbieten. Die im Einzelfall gebotene Unterstützung soll i. S. d. bestmöglichen Förderung des Kindes bzw. des Jugendlichen, aber nicht durch vorgegebene starre Schemata beeinträchtigt werden. Fachliche Fortentwicklungen geeigneter Hilfen sind damit möglich. Die aufgelisteten Hilfen stellen demnach typisierte Formen mit grundlegenden Charakteristika dar, es verbieten sich jedoch schematische Hilfszuordnungen ohne konkrete Bedarfsprüfung.
Rz. 34
Allgemeines Ziel der (sozial)pädagogischen Hilfe ist es, Eltern bei der Verbesserung ihrer Erziehungskompetenz zu helfen sowie diese infolge der gleichzeitigen pädagogischen Arbeit mit dem Kind oder Jugendlichen zu entlasten; für den Minderjährigen gilt, diesem unmittelbar beim Aufbau einer sozialpädagogischen Beziehung zu helfen und ihn in seiner Entwicklung zu fördern (OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.3.2020, 10 LA 292/18 Rz. 15).
Rz. 35
Des Weiteren sind dem Kindeswohl verpflichtete kreative Einzellösungen möglich. Der Gesetzgeber hat diesem Prinzip unterdessen durch die Einfügung eines Satzes 3 durch das KJSG v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 eigenständige Geltung verschafft und ein Kombinationsgebot eingeführt (vgl. insoweit auch Komm. unter Rz. 40 ff. – Allgemeines Kombinationsgebot nach Satz 3). Diese Offenheit erlaubt auch, einzelne Hilfsformen kumulativ zu bewilligen, sie miteinander zu ergänzen oder zu verzahnen, sofern sie einander nicht ausschließen (JAmt 2002, 118; der Beitrag beschäftigt sich mit dem DIJuF-Rechtsgutachten v. 14.3.2002 – J 3.300 My zum Thema Zulässigkeit einer Kumulierung von Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII in ein und demselben Hilfefall; vgl. auch Hess. VGH, Beschluss v. 12.12.2000, 1 TG 3694/00; vgl. zur atypischen Hilfeform Kindesbetreuung und Nachsorge bei drogenabhängigen Eltern; Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung des Strafvollzugs als Hilfe zur Erziehung auch BVerwG v. 12.12.2002, 5 C 48.01; zur Kombination einer (teilweisen) Vollzeitpflege nach § 33 mit einer (teilweisen) Heimunterbringung nach § 34 vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 18.10.2010, J 4.410 Sch, JAmt 2011, 76). Es kann daher sowohl ein Anspruch auf die kumulative Gewährung mehrerer Hilfen aus dem Katalog der in den §§ 28 bis 35 genannten Leistungen als auch auf eine maßgeschneiderte atypische Hilfe in Kombination oder nebeneinander bestehen, etwa auf ambulante Leistungen neben einer stationären Leistung (so zutreffend im DIJuF-Rechtsgutachten v. 15.7.2020, SN_2020_0800 Kr/DE, JAmt 2020, 444).
Rz. 36
Möglich ist auch die (kombinierte) Gewährung von Hilfen, welche in den ersten 3 Abschnitten des Zweiten Kapitels geregelt sind, also in §§ 11 bis 26, wenn insoweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 vorliegen (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 19.5.1994, 5 O 29/94 – Tagespflege; VG Frankfurt/Main, Beschluss v. 15.8.1991, VII/V G 1526/91). Die Hilfen dürfen nicht als in sich abgeschlossen und miteinander konkurrierend verstanden werden, was angesichts teilweise fließender Übergänge und letztlich kaum möglicher scharfer Abgrenzungen ohnehin unmöglich ist (vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 69; a. A. aber offenbar OVG Münster, Urteil v. 26.4.2004, 12 A 2598/02: eindeutige Klärung konkurrierender Rechtsgrundlagen erforderlich). Daher kann die Jugendhilfe nicht lediglich auf standardisierte Angebote verweisen. Aufgabe der Jugendhilfe ist es vielmehr, eine auf den konkreten Hilfsbedarf passgenau zugeschnittene Hilfe zu ermitteln und anzubieten. Allerdings müssen bei kombinierten Hilfen jeweils die Grundvoraussetzungen vorliegen, die Hilfe also jeweils geeignet und erforderlich und eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet sein.
Rz. 37
Bei der Auswahl der Hilfe soll auch das engere soziale Umfeld des Kindes od...