Rz. 10
Die Vorschrift stellt klar, dass Hilfe nicht nur präventiv und rein informatorisch erfolgen darf, denn es ist auf eine Klärung und Bewältigung hinzuarbeiten. Ausdrücklich sind die zugrunde liegenden Ursachen einzubeziehen. Hieraus ist zu folgern, dass nach Festlegung und Eingrenzung des Problems und damit des Hilfebedarfs ein konkretes Hilfsangebot zu entwickeln und umzusetzen ist. Erziehungsberatung ist dabei eine Vielzahl familienunterstützender Leistungen, die in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle erbracht werden können, wenn sie aufgrund eingeschränkter Erziehungssituationen benötigt werden (Schmidt, ZKJ 2021 S. 20 f.). Eine Hilfe kann oder muss ggf. langfristig angelegt sein. Die Einbeziehung der Ursachen kann es erforderlich machen, dass auch medizinische, psychologische oder psychiatrische Fragestellungen einbezogen werden müssen, wenn z. B. Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, Bindungsstörungen, Misshandlungs- oder Missbrauchserlebnisse. Durch die Hervorhebung, dass zugrunde liegende Faktoren einzubeziehen sind, wird auch klargestellt, dass die Hilfestellung sich nicht isoliert mit der betroffenen gefährdeten Person und deren Symptomatik zu beschäftigen hat, sondern dass die (familiären) Zusammenhänge und die jeweilige konkrete Lebenssituation bewusst einbezogen werden soll. Es ist ein Problembewusstsein für die häufig komplexen Zusammenhänge zu entwickeln. Mit den Angeboten der Erziehungsberatungsstellen werden regelmäßig relativ niedrigschwellig Angebote zur Klärung der Problematik erfolgen; mit diesen Angeboten kann flexibel auf die individuellen und wechselnden Bedarfe der Familienmitglieder reagiert werden (Schmidt, ZKJ 2021 S. 20, 22).
Rz. 11
Schwerpunkt der Aufgabe der Erziehungsberatung ist die Beratung der Hilfesuchenden. Umfang der Leistungserbringung erschöpft sich aber nicht in der reinen Beratung. Neben der beratenden und informierenden Tätigkeit besteht auch ein Hilfsanspruch auf Therapie (so zutreffend auch Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 28 Rz. 37; vgl. instruktiv zu einer bedarfsorientierten psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen und zur Trennung von Heilkunde (SGB V) und Jugendhilfe (SGB VIII) auch: Schmidt, ZKJ 2021 S. 20). Es geht dabei jedoch nicht vorrangig um die Frage, ob Erziehungsberatung Psychotherapie ist und möglichst viele psychotherapeutische Methoden anbieten soll, sondern darum, in den Beratungsstellen neben (sozial-)pädagogischen auch psychotherapeutische Fachkräfte einzusetzen, um so einen interdisziplinären Blick auf die Problematik der Familien und ihre Mitglieder zu ermöglichen und angemessene Hilfen entwickeln zu können (Schmidt, ZKJ 2021 S. 20 f.). Dies ergibt sich bereits ohne weiteres aus § 27 Abs. 3, wonach Hilfe zur Erziehung insbesondere pädagogische und damit verbundene therapeutische Leistungen umfasst. Daneben ist dies auch aus der Betonung der lösungsorientierten Arbeit im Gesetzestext abzuleiten. Demnach soll Erziehungsberatung bei der "Bewältigung" von Problemen und bei der "Lösung" von Erziehungsfragen unterstützen und dabei insbesondere die Ursachen einbeziehen. Dies wird oftmals therapeutische Maßnahmen erfordern, welche auf eine Verhaltensänderung hinzielen. Im Einzelfall wird es zwischen lösungsorientierter Beratung und Therapie i. S. d. § 27 Abs. 3 fließende Übergänge geben. Da ohnehin beide Leistungsarten umfasst sind, ist eine scharfe Grenzziehung nicht vonnöten. Sofern daher niedrigschwellige Angebote in Form sog. "indirekter" Behandlung über die Erziehungsberatung der Eltern nicht ausreichen und sofern sich Verhaltens- und Erlebensstörungen verselbständigt oder chronifiziert haben, muss auch mit dem jungen Menschen selbst therapeutisch gearbeitet werden und es müssen belastende Beziehungskonflikte und Entwicklungsstörungen einbezogen werden, die seine soziale und schulische Integration behindern (Schmidt, ZKJ 2021 S. 20, 22).