Rz. 15
Erziehungsberatungsstellen sollen organisatorisch in eigenen Beratungsstellen untergebracht sein. Besonderes Anliegen ist es, breite gesellschaftliche Kreise zu erreichen. Kritisch wurde eingewandt, Erziehungsberatung spreche soziale Randgruppen, Ausländer und Klienten aus unteren Einkommensschichten zu wenig an, obwohl sich dort ein überproportional hoher Hilfebedarf findet. Erziehungsberatung müsse weniger auf die Mittelschicht zugeschnitten sein (vgl. 8. Jugendbericht, BT-Drs. 11/6576 S. 137). Daher wird zu Recht angemerkt, dass eine räumliche und organisatorische Abgrenzung zum Jugendamt dazu beitragen kann, Schwellenängste abzubauen. Dieser Ansatz hat sich in der Praxis auch durchgesetzt (vgl. 10. Jugendbericht, BT-Drs. 13/11368 S. 245). Der 10. Jugendbericht weist allerdings darauf hin, dass "Multiproblemfamilien" und "Nichtdeutsche" von den Beratungsstellen nach wie vor nur schwer erreicht werden und dass es daher die größte Herausforderung für die Erziehungsberatung nach § 28 sei, "bestimmte Hilfeempfänger nicht auszugrenzen, d. h., die Angebote niedrigschwellig und gemeinwesenorientiert zu gestalten" (a. a. O., S. 246).
Rz. 16
Allerdings können bindende Vorgaben des kommunalen Trägers hier nicht erfolgen, da diesem die Organisationshoheit über seine Dienste und Einrichtungen zusteht, § 69. Dieser Autonomie des kommunalen Trägers, seine Hilfsangebote selbständig zu organisieren, ist der Gesetzgeber auch mit dem Verweis in der Vorschrift entgegengekommen, wonach die Leistung auch von "anderen Beratungsdiensten und -einrichtungen" erbracht werden können. Soweit also die fachlichen Standards gewahrt bleiben, die multidisziplinäre Besetzung und die Vertrautheit mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen gesichert ist, kann Erziehungsberatung auch auf andere soziale Einrichtungen übertragen werden. Insbesondere freie Träger oder private psychologische Praxen können diese Aufgabe erhalten. Für diese gelten die gleichen Vorgaben wie für eine Beratung durch das Jugendamt, insbesondere betreffend Teamstruktur, Zusammenwirken von Fachleuten verschiedenster Ausbildungsrichtungen und eine größtmögliche Offenheit. Insbesondere gilt für "andere Beratungsdienste und -einrichtungen" auch, dass die tätigen Fachkräfte den Grundanforderungen an die Fachlichkeit i. S. d. §§ 72 f. genügen müssen. Auch haben Beratungsstellen in freier Trägerschaft einen eigenen Auftrag zur Gefährdungseinschätzung, wenn durch die Arbeit als Erziehungsberatungsstelle Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung bekannt werden. Dies folgt für Beratungsstellen freier Träger aus § 8a Abs. 4, wonach das Jugendamt mit freien Trägern Vereinbarungen über u. a. die Kriterien hinsichtlich der Qualifikation der Fachkraft beschließen müssen, welche aber auch die Verpflichtung enthalten müssen, auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken, wenn sie diese für erforderlich halten und das Jugendamt über Gefährdungslagen zu informieren, falls die Gefährdung nicht anderweitig abgewendet werden kann.