Rz. 6
Nach § 30 sollen Erziehungsberatungsstellen und andere Beratungsdienste und -einrichtungen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen. Die Erziehungsbeistandschaft ist eine ambulante Einzelhilfe (Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 30 Rz. 15; zum Anspruch auf Erziehungsbeistand (hier verneint), vgl. auch: VG Freiburg, Urteil v. 10.10.2022, 4 K 1608/21 Rz. 27). Die Grundvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 müssen erfüllt sein; insbesondere darf daher die Erziehung nicht gewährleistet sein. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Hilfeempfänger zu Hause aufgrund der Instabilität und geringen Belastbarkeit der Eltern nur begrenzt unterstützt werden kann und es an Sicherheit, Verlässlichkeit und Orientierung fehlt. Wie bei allen anderen Hilfearten auch ist Kernvoraussetzung die Geeignetheit und Notwendigkeit der Maßnahme i. S. der in § 27 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen mit Doppelfunktion. Die Geeignetheit ist daher nicht nur allgemein, sondern im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zu überprüfen (BVerwG v. 9.12.2014, 5 C 32/13 Rz. 19; Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 27 Rz. 55). So kann die professionelle, ambulante Begleitung und Unterstützung in Form einer Erziehungsbeistandschaft geeignet und auch notwendig sein, um einen Rückfall des Hilfeempfängers in depressive und suizidale Verhaltensmuster zu verhindern und den Leistungsberechtigten dabei zu unterstützen, auftretende Krisen konstruktiv zu bewältigen (vgl. bei Bay. LSG, Beschluss v. 4.5. 2020, L 18 SO 17/19 NZB Rz. 6); auch kann die Unterstützung bei Erlangung eines (Haupt-)Schulabschlusses angezeigt sein. Wie bei allen anderen Hilfearten auch besitzt der Jugendhilfeträger bei der Entscheidung darüber, welche Hilfeart im Einzelfall geeignet und notwendig ist, einen Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkt verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist (vgl. hierzu näher die Komm. zu § 27 im Abschnitt Hilfearten nach Abs. 2 – Beurteilungsspielraum). Die Soll-Formulierung in der Vorschrift bezeichnet die Aufgabenstellung des Erziehungsbeistandes/Betreuungshelfers, nicht aber den Rechtscharakter der Leistung. Sofern der Einsatz der Hilfe nach § 30 geeignet und notwendig ist, hat der Personensorgeberechtigte einen Rechtsanspruch konkret auf diese Hilfeart (Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 12/2014, Werkstand: 2023, § 30 SGB VIII Rz. 3). Weiterhin ist auch ein Antrag – jedenfalls aber eine entsprechend bekundete Willenserklärung – erforderlich (vgl. hierzu Komm. zu § 27 im Abschnitt Antragserfordernis).
Rz. 7
Die Voraussetzungen zum Einsatz eines Erziehungsbeistandes sind bewusst niedrigschwellig ausgestaltet. Wie bei allen anderen Hilfearten auch ist Kernvoraussetzung die Geeignetheit und Notwendigkeit der Maßnahme i. S. der in § 27 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzung mit Doppelfunktion. Unabdingbare Voraussetzung der Hilfe ist die Mitwirkungsbereitschaft und -fähigkeit des Erziehungsberechtigten. Ist eine Einbindung der Personensorgeberechtigten nicht (mehr) möglich, scheidet die Erziehungsbeistandschaft als geeignete Hilfe aus (Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 30 Rz. 15). Ausreichend ist, dass Entwicklungsprobleme erkennbar sind, welche sich in der Folge zu Entwicklungsstörungen entwickeln können, bei deren Bewältigung der Erziehungsbeistand und der Betreuungshelfer unterstützen können. Erfasst werden verschiedenen Konfliktsituationen, z. B. solche, die schulisch, familiär, emotional oder im sozialen Umfeld angesiedelt sind; auch Schuldenbewältigung des Kindes oder des Jugendlichen kann zu den erfassten Konfliktsituationen gezählt werden. Es müssen jedoch Störungen der Entwicklung noch nicht eingetreten sein. Die Hilfe ist hier präventiv angelegt, auch wenn die Vorschrift als Grundvoraussetzung eine Erziehungsgefährdung voraussetzt sowie ferner, dass der Einsatz eines Erziehungsbeistandes geeignet und notwendig ist (§ 27). Da auch die Erziehungsbeistandschaft eine Hilfe zur Erziehung ist, müssen die Grundvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 vorliegen. Hilfeempfänger ist das Kind oder der Jugendliche; das Kind oder der Jugendliche steht im Focus der Hilfeart und wird als Einzelperson wahrgenommen; diese Hilfeart ist eine kindzentrierte Hilfe und verfolgt daher einen individuellen Ansatz.