Rz. 15
Die Arbeit des Erziehungsbeistandes wird vorrangig in der Einzelberatung und Einzelarbeit mit dem Kind oder Jugendlichen bestehen. Daneben können aber auch Gruppenarbeit, freizeitpädagogische Maßnahmen oder auch eine auf die Familie ausgedehnte Beratung in Betracht kommen (vgl. insoweit auch bei Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 30 Rz. 22). Die Übergänge von der bloßen Beratung und Unterstützung hin zur therapeutischen Arbeit können dabei fließend sein. Dementsprechend muss der Erziehungsbeistand über eine geeignete Qualifikation verfügen (vgl. hierzu im einzelnen Rz. 20). Zentrale Aufgabe und Ziel des Erziehungsbeistands sind dabei Beziehungsaufbau und Bestandsaufnahme, Aufbau und Förderung von Beziehungsfähigkeit des Kindes oder des Jugendlichen, Stärkung des Selbstwertes des Kindes oder des Jugendlichen, Bewältigung familiärer und/oder persönlicher Krisen, Erarbeitung und Klärung schulischer/beruflicher Perspektiven und Aufbau von sozialen Kontakten außerhalb der Familie; im Hinblick auf die weiteren Familienmitglieder – insbesondere der Eltern – steht die Stärkung der Erziehungskompetenz im Focus. Übergeordnetes Ziel ist die Reintegration von Kindern/Jugendlichen in die Familie. Weitergehendes Ziel der Beratung kann auch sein, dem Jugendlichen Hilfe durch andere geeignete Stellen zu vermitteln, etwa soziale oder auch im Einzelfall juristische Beratung. Die Vorschrift sieht bei der Methodik vor, dass das soziale Umfeld möglichst einbezogen wird und der Lebensbezug zur Familie erhalten bleibt, insbesondere bei der Hilfe zur Verselbständigung. Die Einbeziehung des sozialen Umfeldes kann es etwa erforderlich machen, mit der Schule oder mit einem Arbeitgeber des Jugendlichen Kontakt aufzunehmen. Dies kann ferner beinhalten, sich mit dem Einfluss von Freunden und Bekannten des Jugendlichen auseinanderzusetzen usw. Oftmals werden sich die Entwicklungsprobleme gerade in diesem sozialen Umfeld zeigen; daneben können auch deren Auslöser im sozialen Umfeld verortet sein. Der Erziehungsbeistand wird hierdurch wertvolle Informationen für das Verständnis der Problematik erhalten können, aber auch spezifische Anforderungen an die konkrete Hilfeplanung, welche auf den Einzelfall zugeschnitten werden muss.
Rz. 16
Die Einbeziehung der Familie kann bei der Arbeit, gerade im Hinblick auf die angestrebte Verselbständigung, besondere Schwierigkeiten abverlangen. Zum einen ist die Unterstützung des Familienverbandes ohnehin generelle Zielsetzung der Jugendhilfe, auch der Hilfen zur Erziehung. Auch soll durch Einsatz eines Erziehungsbeistandes eine Fremdunterbringung möglichst vermieden werden. Auf der anderen Seite wird die angestrebte Verselbständigung tendenziell und abhängig auch vom Alter Ablösungstendenzen beim Jugendlichen befördern. Oftmals sind Ursachen der Probleme auch gerade im familiären Zusammenleben zu finden. Hier muss der Erziehungsbeistand bisweilen die schwierige Gratwanderung leisten, Entwicklung und gleichzeitig Integration zu fördern.
Rz. 17
Erforderlich ist Behutsamkeit bei Einbeziehung des sozialen Umfeldes und der Familie. Denn ohne eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind oder dem Jugendlichen wird eine erfolgreiche Arbeit kaum möglich sein. Ein Vertrauensverhältnis und eine positive Beziehung zu dem Kind bzw. Jugendlichen kann durch Missachtung eines etwa ausdrücklich entgegenstehenden Wunsches nachhaltig erschüttert werden. Gleichwohl kann es die zu fordernde kritische und fachliche Distanz nötig machen, hier Verständnis für die Einbeziehung des sozialen Umfeldes und der Familie zu schaffen.
Rz. 18
Im Gegensatz zur alten Rechtslage nach dem JWG kann der Erziehungsbeistand bei seiner Arbeit keine Zwangs- oder Aufsichtsbefugnisse geltend machen. Er ist bereits von daher gehalten, das Vertrauen des Kindes bzw. des Jugendlichen, aber insbesondere auch der Eltern zu gewinnen, zumal wenn diese Personensorgeberechtigte sind.
Rz. 19
Die Dauer der Hilfe wird von der Schwierigkeit der Entwicklungsprobleme im Einzelfall abhängen. Betreuungsverlauf und Dauer der Erziehungsbeistandschaft richten sich individuell nach den Bedürfnissen der Familienmitglieder. Generell ist die Hilfe jedoch auf eine langfristige Dauer angelegt, da anders die anzustrebende Verselbständigung kaum zu erreichen sein wird. Überwiegend dürfte eine Laufzeit von mindestens einem Jahr oder darüber hinaus realistisch sein. In der Praxis finden sich Laufzeiten von zumeist 6 Monaten bis zu 3 Jahren (für das Zeitfenster bis zu 3 Jahren plädiert auch Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 30 Rz. 25; teilweise wird in der Literatur auch vertreten, dass längerfristig mindestens ein Jahr bedeutet; Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 12/2014, Werkstand: 2023, § 30 SGB VIII Rz. 7).