Rz. 10
Die Grundvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 müssen erfüllt sein; insbesondere darf daher die Erziehung nicht gewährleistet sein (zu den allgemeinen Voraussetzungen der notwendigen Gefährdungslage vgl. die Komm. zu § 27). Wie bei allen anderen Hilfearten auch ist Kernvoraussetzung die Geeignetheit und Notwendigkeit der Maßnahme i. S. der in § 27 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen mit Doppelfunktion. Die Geeignetheit ist daher nicht nur allgemein, sondern im Hinblick auf die konkrete Form der Hilfe zu überprüfen (BVerwG, Entscheidung v. 9.12.2014, 5 C 32/13 Rz. 19; Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 27 Rz. 55). Wie bei allen anderen Hilfearten auch besitzt der Jugendhilfeträger bei der Entscheidung darüber, welche Hilfeart im Einzelfall geeignet und notwendig ist, einen Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkt verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist (vgl. hierzu näher die Komm. zu § 27 im Abschnitt Hilfearten nach Abs. 2 – Beurteilungsspielraum). Die Soll-Formulierung in der Vorschrift bezeichnet die Aufgabenstellung des Familienhelfers, nicht aber den Rechtscharakter der Leistung (Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 08/2015, Werkstand: 2023, § 31 SGB VIII Rz. 4); es besteht daher auf diese Leistung grundsätzlich ein Rechtsanspruch. Weiterhin ist auch ein Antrag – jedenfalls aber eine entsprechend bekundete Willenserklärung – erforderlich (vgl. hierzu die Komm. zu § 27 im Abschnitt Antragserfordernis).
Rz. 11
Im Gegensatz zu den meisten anderen Hilfearten wendet sich die Sozialpädagogische Familienhilfe an die gesamte Familie (so zutreffend auch Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 31 Rz. 14, der das als "Gesamtsystem Familie" bezeichnet). Dies ist Maßstab für die Prüfung der Geeignetheit dieser Hilfeart. Voraussetzung für Gewährung der Hilfe ist, dass die Familie in mindestens einem der vom Gesetz aufgezählten Anwendungsbereiche erhebliche Schwierigkeiten hat, welche sie nicht aus eigener Kraft bewältigen kann. Eine dem Wohle des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung darf nicht gewährleistet sein.
Rz. 12
Denkbare Fallkonstellationen, die die Sozialpädagogische Familienhilfe geeignet erscheinen lassen, sind Verhaltensauffälligkeiten der Kinder, hohe Kinderzahl, Partnerprobleme, mangelnde Haushaltsführung und -planung sowie hohe finanzielle Verschuldung (Beispiele bei Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 08/2015, Werkstand: 2023, § 31 SGB VIII Rz. 6). Gleiches gilt auch bei Defiziten bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, bei Konflikte und Krisen im Alltag (wie z. B. Arbeitslosigkeit) und auch bei Defiziten in der Haushaltsführung oder -planung (Lack/Laaf/Römer, ZKJ 2021 S. 87, 92).
Rz. 13
Geeignet kann die Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere in Form einer Sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 bei der Deradikalisierung und Integration von Rückkehrerfamilien aus dem Islamischen Staat sein (so zutreffend Lack/Laaf/Römer, ZKJ 2021 S. 87, 92).
Rz. 14
Nicht entscheidend für die Hilfegewährung sind jedoch Anlass und Ursache der Krisensituation. Die möglichst konkrete Erfassung der Hintergründe und Zusammenhänge dient lediglich der Hilfeplanung.
Rz. 15
Liegen die Voraussetzungen des § 27 vor, besteht ein Rechtsanspruch auf die Bewilligung der Hilfe. Eine Ablehnung der Leistung, welche auf fehlende Mittel im Haushalt gestützt ist, ist rechtswidrig. Unzulässig ist auch eine Begrenzung der Hilfe im Rahmen sog. Sozialraumbudgets (vgl. VG Lüneburg, Entscheidung v. 20.12.2005, 4 B 50/05; Frings, in: LPK-SGB VIII, § 31 Rz. 5). Der Gesetzgeber hat mit Satz 2 eine besondere Ausformung der "Geeignetheit" konturiert und angeordnet, dass die Mitarbeit der Familie erforderlich ist (vgl. hierzu Rz. 16 ff. Dauer und familiäre Mitarbeit nach Satz 2). Die Mithilfe der Familie ist daher ebenfalls zwingend erforderliche Voraussetzung.
Rz. 16
Ungeeignet ist die Sozialpädagogische Familienhilfe als Ausgestaltungsform der Hilfe für junge Volljährige. Die Sozialpädagogische Familienhilfe ist mit den Zielsetzungen des § 41 nicht vereinbar, denn die Sozialpädagogische Familienhilfe hat nicht den jungen Volljährigen in seiner Entwicklung zur Selbständigkeit im Blick, sondern die Familie als unterstützendes Umfeld von Kindern und Jugendlichen (OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss v. 3.2.2021, 3 MB 50/20 Rz. 13, mit Anm. von Wiesner, ZKJ 2021 S. 204).