Rz. 2

Historisch hat sich die Heimerziehung im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen Ansätzen entwickelt. Einerseits hat sie karitativen und armenrechtlichen Charakter, z. B. im Fall der früheren, häufig kirchlichen "Waisenhäuser", andererseits hat sie strafrechtliche Wurzeln, namentlich die sog. "Arbeitshäuser". Die Zweiteilung fand bereits ihren Niederschlag im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922, wo zwischen Fürsorgeerziehung und Hilfe zur Erziehung unterschieden wurde. Etwa Mitte der 1960er Jahre wurde zunehmend Kritik an den Lebens- und Erziehungsbedingungen der Heime laut. Insbesondere in den 1970er Jahren wurden unter starker öffentlicher Anteilnahme in den Heimkampagnen die oftmals erschreckenden Lebensbedingungen auch vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Pädagogik und Entwicklungspsychologie debattiert. Hauptkritikpunkte waren die anonymen und beziehungsarmen Angebote in den Einrichtungen, welche kaum verlässliche Bezugssysteme anboten, sondern vielfach für soziale Desorientierung und Bindungsstörungen mit Krankheitswerten verantwortlich waren. Die Kritik an den ungeeigneten, herabwürdigenden und willkürlichen Erziehungsmethoden wurde immer stärker. Auch galten die Heime als Instrumente von Repression und bloßer Disziplinierung im Gegensatz zu individueller Förderung (vgl. zur Geschichte und Kritik der Heimerziehung www.wikipedia.org; Stichwort Heimerziehung).

 

Rz. 3

Die Kritik hat einen Entwicklungsprozess in Gang gesetzt. Sichtbarster Ausdruck dieses Wandels seit den 1970er Jahren war das als "explosionsartig" zu bezeichnende Anwachsen unterschiedlicher Betreuungsformen und organisatorischer Arrangement in der Heimerziehung. Es entwickelten sich neue Formen, insbesondere familienähnliche Betreuungsangebote wie Wohngemeinschaften, Außenwohngruppen, betreutes Jugendwohnen usw. Durch Umorganisation wurde versucht, inzwischen anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen, vor allem durch Stärkung eines familiären oder familienähnlichen Erziehungsangebotes. Wohngruppen wurden verkleinert, mehr und fachlich besser ausgebildete Kräfte wurden eingestellt. Auch bei den Erziehungsmethoden fand eine Hinwendung zu familienähnlichen Strukturen statt; Kinder und Jugendliche erhalten nun Bezugsbetreuer. Das Instrument der Heimerziehung ist und bleibt im Wandel und muss sich auch künftig weiter entwickeln, um den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen zu können. Trotz aller Verbesserungen in der Praxis besteht nach wie vor Bedarf und Potenzial an Fortentwicklung. Die historische Bürde sowie die generelle Neuausrichtung des SGB VIII als modernes, präventiv orientiertes Leistungsgesetz hatten Auswirkungen auf Formulierung und Neugestaltung der Vorschrift (vgl. Rz. 1).

 

Rz. 4

Weitergehende zusammenfassende Hinweise zu den einzelnen Hilfearten finden sich unter www.betanet.de (zuletzt abgerufen am 31.3.2023), dem größten Portal für psychosoziale und sozialrechtliche Informationen im Gesundheitswesen. Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), die regelmäßig in der Fachzeitschrift "Das Jugendamt (JAmt)" veröffentlicht werden, sind im Volltext auf der Webseite des DIJuF unter der Rubrik Publikationen, JAmt – Fachzeitschrift abrufbar (https://dijuf.de/veroeffentlichungen/jamt-fachzeitschrift, zuletzt abgerufen am 31.3.2023).

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