2.2.1 Überblick
Rz. 26
Nach Satz 2 HS 1 soll Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie die Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie maßgebliches Kriterium zur Bewertung der Erfolgsaussichten des jeweiligen Ziels sein. Als allgemeines Ziel der Heimerziehung nennt die Vorschrift zunächst die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Im Einzelnen sind 3 konkrete Zielperspektiven vorgesehen, nämlich der Versuch, eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie zu erreichen (Nr. 1), die Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie (Nr. 2) oder das Angebot der Heimerziehung als Lebensform, die auf längere Zeit angelegt ist (Nr. 3). In letzterem Fall ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass die Heimerziehung auf ein selbständiges Leben vorbereitet. Die Zielplanung wird im Hinblick auf den Einzelfall zu treffen sein, eine verpflichtende Rangfolge enthält die Vorschrift nicht. Die Maßgabe, dass der Hilfebedarf im Einzelfall entscheidend ist, folgt auch aus der Forderung der Vorschrift, die Zielplanung "entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie" vorzunehmen. Die im konkreten Fall angezeigte Perspektive ist im Zusammenwirken der mehrerer Fachkräfte und der Personensorgeberechtigten im Hilfeplanverfahren zu erarbeiten, § 36 Abs. 2. Die in Satz 2 genannten Alternativen verfolgen dabei jeweils unterschiedliche Zielsetzungen, die nicht miteinander verknüpft werden können (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung in BT-Drs. 11/6002 S. 6).
Rz. 27
Die drei in Nr. 1 bis 3 genannten Ziele stehen jedoch nicht gleichrangig nebeneinander, sondern sind – jedenfalls im Verhältnis von Nr. 1 zu Nr. 2 und 3 – i. S. eines Stufenverhältnisses zu interpretieren. Satz 2 ist insoweit im Lichte des § 37 Abs. 1 auszulegen; hierbei finden insbesondere § 37 Abs. 1 Satz 2 und 4 besondere Bedeutung. Die Rückkehroption nach Satz 2 Nr. 1 und damit der Vorrang der Herkunftsfamilie ergibt sich ausdrücklich aus § 37 Abs. 1 Satz 2 und fließt aus dem grundrechtlich verankerten Elternrecht nach Art. 6 GG (vgl. Komm. zu § 37 unter dem Abschnitt Rückkehroption – Vorrang der Herkunftsfamilie nach Satz 2). Die Verpflichtung zur Erarbeitung der Lebensperspektive nach Satz 2 Nr. 3 in der Pflegefamilie ergibt sich ausdrücklich aus § 37 Abs. 1 Satz 4 und ist anzustreben, wenn eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb in § 37 Abs. 1 Satz 2 genannten vertretbaren Zeitraums nicht erreichbar ist (vgl. Komm. zu § 37 unter dem Abschnitt: Erarbeitung der Lebensperspektive in der Pflegefamilie nach Satz 4). Das Ziel nach Nr. 1 ist daher stets vorrangig zu verfolgen. Zwischen diesen Zielen nach Nr. 1 und 3 liegt das Ziel der Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie nach Satz 2 Nr. 2. Insgesamt ist es aber immer eine Einzelfallentscheidung, welches Ziel nach Nr. 1 bis 3 verfolgt wird.
2.2.2 Rückkehroption nach Satz 2 Nr. 1
Rz. 28
Generell geht Hilfe zur Erziehung in Form der Fremdunterbringung davon aus, dass zunächst die Rückkehroption (Nr. 1) offenzuhalten und zu bevorzugen ist. Dies folgt etwa auch aus § 37 Abs. 1. Daneben gebietet es auch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK darauf hinzuwirken, dass eine Inpflegegabe nur eine vorübergehende Maßnahme ist und eine Familienzusammenführung grundsätzlich anzustreben ist (EGMR, Urteil v. 27.4.2000, 25702/94). Dieses Vorrangsverhältnis zu den beiden anderen Zielen ergibt sich auch aus dem Wort "versuchen". Dieser Begriff zeigt, dass die Rückkehroption ergebnisoffen ist und bei einem Scheitern der Rückkehr(perspektive) die Ziele nach Nr. 2 und Nr. 3 zumindest als alternative Ziele noch in Betracht kommen. Die gesamte Heimunterbringung hat zunächst die Reintegration des Kindes oder des Jugendlichen in die Herkunftsfamilie zu versuchen, bevor das Kind oder Jugendliche auf die beiden andere Ziele vorbereitet werden soll.
Rz. 29
Die Ziele der Heimunterbringung stehen im Kontext zu § 37. Demzufolge muss begleitend zur Heimerziehung auch Elternarbeit geleistet werden, denn unabdingbare Voraussetzung für eine Rückkehr in die Familie ist, dass sich die Erziehungsdefizite in der Familie, welche Anlass zur Fremdunterbringung waren, beseitigen oder zumindest deutlich verbessern lassen. Das Gebot zur Zusammenarbeit fließt ausdrücklich auch aus § 37 Abs. 1 Satz 1, der anordnet, dass bei Hilfen nach §§ 32 bis 34 und § 35a Abs. 2 Nr. 3 und 4 darauf hingewirkt werden soll, dass die Pflegeperson oder die in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und die Eltern zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zusammenarbeiten. Verweigern die Eltern die Zusammenarbeit und scheitert bereits daran die Rückkehrperspektive, ist zeitnah auf die beiden weiteren Ziele umzuschwenken.
Rz. 30
Die Frage wann die Zielsetzung der Heimunterbringung zu ändern ist, wann also die Rückkehrperspektive aufgegeben und nunmehr d...