Rz. 37
Besonderes Merkmal der Heimerziehung ist, dass die Kinder und Jugendlichen Tag und Nacht ihren Lebensraum in der Einrichtung bzw. der sonstigen Wohnform haben. Der Ort, an welchem sie in ihrer Entwicklung gefördert werden sollen, ist also auch ihr Lebensmittelpunkt. Die Hilfe ist dabei gerade nicht (mehr wie noch im früheren Verständnis) als "lebenslange" Hilfe, also als Hilfe bis zur Volljährigkeit angelegt. Sie wird als eine zeitlich befristete Hilfeform ausgestaltet, die vor allem für ältere Kinder und Jugendliche in Betracht kommt und die in eine der 3 genannten Alternativen (Rückkehr in die Herkunftsfamilie – Erziehung in einer anderen Familie oder familienähnlichen Lebensform – Verselbständigung des Jugendlichen) mündet (so ausdrücklich die gesetzgeberischen Erwägungen, BT-Drs. 11/5948 S. 72). Das Wesen der Heimerziehung ist daher, dass ein Kind oder ein Jugendlicher für einen kürzeren oder längeren Zeitraum seinen Lebensmittelpunkt außerhalb seiner Herkunftsfamilie hat (Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 34 Rz. 20). Die Vorschrift hebt in seinem Satz 1 daher hervor, dass die Hilfe durch eine Kombination von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten geleistet wird. Die Betonung von pädagogischen Angeboten soll nochmals hervorheben, dass die moderne Heimerziehung nichts mehr mit den früheren Verwahranstalten gemeinsam hat, sich die Hilfe andererseits aber nicht in bloßer Betreuung und Beaufsichtigung erschöpft. Vielmehr soll eine gezielte Förderung nach Maßgabe des Hilfeplanes auf den Grundlagen eines pädagogischen Konzeptes erfolgen. Daneben sieht die Vorschrift auch therapeutische Angebote vor. Dies können heilpädagogische Maßnahmen, aber auch Therapien im klassischen Sinn sein. Die Hilfe muss jedoch nicht zwingend therapeutische Angebote umfassen, auch wenn dies wegen deutlicher Defizite, Vernachlässigung, Verhaltensauffälligkeiten usw. bei den Kindern und Jugendlichen häufig erforderlich sein wird. Maßgeblich ist der im Einzelfall festzustellende Hilfebedarf. Neben der Förderung soll die Heimerziehung jedoch noch ausreichende Angebote für Freizeit und Alltag bereithalten, wie die Vorschrift in Satz 1 mit der Betonung des "Alltagserlebens" hervorhebt. Es ist zu berücksichtigen, dass die Kinder und Jugendlichen teilweise für längere Zeit im Heim leben. Ihnen ist daher auch genug Freiraum zu belassen, denn diese sollen und müssen im Heim ihr "Zuhause" finden. Die Gestaltung des Freiraumes darf in ihrer Bedeutung gegenüber pädagogischen und therapeutischen Angeboten nicht unterschätzt werden und muss Alter, Reifegrad und Selbständigkeit des Kindes bzw. des Jugendlichen angemessen Rechnung tragen.
Rz. 38
Die Unterbringung in einer Einrichtung schließt nicht automatisch die Befugnis zu freiheitsentziehenden Maßnahmen ein; so z. B. bei einer geschlossenen Unterbringung. Dafür bedarf es einer richterlichen Genehmigung nach §1631b BGB (so ausdrücklich die gesetzgeberischen Erwägungen, BT-Drs. 11/5948 S. 72; zu den freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631b BGB und der Angleichung an diejenigen des § 42 Abs. 5 vgl. auch Nellissen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 34 Rz. 25 ff.).