Rz. 14
Der Gesetzgeber geht aufgrund der besonderen milieubedingte Gefährdungslagen davon aus, dass den betroffenen Jugendlichen häufig nur noch durch eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (ISE) geholfen werden kann, wenn die Gesellschaft diese jungen Menschen nicht völlig aufgeben will (BT-Drs. 11/5948 S. 72). Als ausdrückliche Ziele benennt die Vorschrift daher die soziale Integration und die Unterstützung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung. Dementsprechend gilt bei der sog. intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung nach § 35 als Voraussetzung für den Angebotsträger, dass "der Betreuer" "rund um die Uhr erreichbar" sein muss; dies fließt aus dem begrifflichen Verwendungszusammenhang und auch dem Verständnis von "Betreuung" im allgemeinen Sprachgebrauch (zutreffend: Mörsberger, ZKJ 2021 S. 52 f.). Im Gegensatz zu anderen Erziehungshilfen, etwa der Heimerziehung, ist die Hilfe also nicht explizit auf eine Verbesserung der Beziehung zur Herkunftsfamilie, eine Rückführung oder die Vorbereitung eines Lebens in einer anderen Familie gerichtet. Hierdurch wird die Vorschrift der Tatsache gerecht, dass die meist älteren Jugendlichen bereits an der Schwelle zur Verselbständigung stehen. Die Beschreibung der Hilfe nach § 35 stellt darauf ab, dass der junge Mensch seinen Lebensort i. d. R. außerhalb der Familie hat. Es ist daher vornehmlich darauf hinzuarbeiten, dass die Jugendlichen in der Lage sind, ein selbständiges Leben zu führen. Hierzu werden ganz pragmatische Dinge zu zählen sein, etwa die Hilfe bei der Suche nach einer geeigneten Wohnform, einem Schulabschluss, einem Ausbildungsplatz, einer Beschäftigung usw. Dies ergibt sich schon aus § 27 Abs. 3 Satz 2. Das Ziel der sozialen Integration des Jugendlichen kann aber durchaus auch die (Wieder-)Herstellung von Beziehungen mit der Herkunftsfamilie oder anderen wichtigen sozialen Bezugspersonen, etwa Pflegeeltern, sinnvoll machen. Daneben sollen auch Verhaltensauffälligkeiten des Jugendlichen, welche Ursache seiner mangelhaften sozialen Integration sind, im Blickpunkt der Hilfe stehen, etwa geringe Frustrationstoleranzen, hohes Aggressions- und Konfliktpotenzial und Ähnliches. Dem Jugendlichen sind Handlungsalternativen aufzuzeigen, welche ihn befähigen, sich in der Gesellschaft zu behaupten. Die Hilfe kann auch alltägliche Probleme aufgreifen, wie Beziehungsschwierigkeiten usw. Geht die Gefährdung vom speziellen Milieu des Jugendlichen aus, ist dem Jugendlichen Unterstützung bei der Loslösung von diesem Milieu anzubieten.
Rz. 15
Die Gesetzesbegründung nennt als weitere Ziele auch noch, die Unterbringung älterer Jugendlicher in Heimen oder in Einrichtungen der Psychiatrie zu vermeiden (BT-Drs. 11/5948 S. 72). Dem ist zuzustimmen. Denn einerseits wird der Nutzen einer geschlossenen Unterbringung schwieriger Jugendlicher ohnehin stark zu bezweifeln sein, zumal eine Betreuung in geschlossenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich wesensfremd ist. Andererseits weist die Regierungsbegründung (a. a. O.) zu Recht auf die Gefahren vornehmlich für andere Einrichtungsbewohner hin, wenn es zu einer Konzentration gefährdeter Jugendlicher in Einrichtungen oder Wohngemeinschaften kommt. Es sind Nachteile für die anderen Heimbewohner zu befürchten, etwa beim Aufbau tragfähiger Beziehungen zwischen Betreuer und Kind oder Jugendlichen. Die Regierungsbegründung (a. a. O.) weist ferner darauf hin, dass Einrichtungen dann häufig Anziehungspunkt für Dealer und Zuhälter werden. Daher wird bei besonders gefährdeten Jugendlichen die intensive Einzelbetreuung regelmäßig die geeignetste Hilfeform sein.