Rz. 39
Die Hilfe erfolgt gemäß § 35a Abs. 2 nach dem Bedarf im Einzelfall; hierbei ist das allgemeine Wunsch- und Wahlrecht des Anspruchsinhabers gemäß § 5 zu berücksichtigen, das auch nicht davon abhängig ist, dass die jeweiligen Anbieter mit dem Jugendhilfeträger eine (Kosten-)Vereinbarung nach § 77 getroffen haben (VG Hannover, Beschluss v. 3.7.2014, 3 B 9975/14 Rz. 7). Zur Hilfeleistung zählt auch die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen. Der Hilfekatalog besteht neben den Hilfen, die sich aus § 35a Abs. 3 ergeben (vgl. hierzu Rz. 23). Die Hilfen nach Abs. 2 und Abs. 3 greifen dabei ineinander und sind nicht immer trennscharf voneinander abzugrenzen. Die Eingliederungshilfe lehnt an den Grundformen der Hilfe zur Erziehung i. S. d. §§ 28 ff. an und umfasst Hilfen
- in ambulanter Form – Nr. 1,
- in Tageseinrichtungen für Kinder oder anderen teilstationären Einrichtungen – Nr. 2,
- durch geeignete Pflegepersonen (Vollzeitpflege) – Nr. 3 und
- in Heimen und sonstigen betreuten Wohnformen (Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung) – Nr. 4.
Zur Hilfe in ambulanter Form zählen alle Leistungen, die in Beratungsstellen oder ärztlichen Praxen erbracht werden. Die Hilfe in Tageseinrichtungen lehnt zwar an §§ 22 ff. an, findet aber in § 35 a eine gesetzliche Stütze. Hiermit soll sichergestellt sein, dass seelisch behinderte Kinder mit körperlich und geistig behinderten Kindern gleich behandelt werden. Neben den teilstationären Hilfen kann die Hilfe ausdrücklich auch durch eine geeignete Pflegeperson i. S. d. § 44 erbracht werden. Die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung richtet sich – auch in seiner Terminologie – an den Grundsätzen des § 34 aus (zu den Hilfen im Einzelnen vgl. bei Wiesner, § 35a SGB VIII Rz. 105 ff.).
Rz. 39a
Zur Festsetzung der monatlichen Barbeträge (Taschengeld) gemäß § 35a Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 39 Abs. 2 Satz 3 haben einzelne Bundesländer Runderlasse erlassen (so z. B. das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsachsen, Nds. MBl. 2023, 651).
Rz. 40
Die Frühförderung stellt bei einer frühkindlichen Entwicklungsverzögerung ein fachliches Gebot dar. Leistungen der Eingliederungshilfe zur Frühförderung noch nicht schulpflichtiger behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder wurden früher regelmäßig als heilpädagogische Maßnahmen von Sozialhilfeträgern auf der Grundlage des früheren § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG oder (zu einem geringeren Teil) von Kinder- und Jugendhilfeträgern nach § 35a erbracht (vgl. auch BT-Drs. 18/9522 S. 251). Die Früherkennung und Frühförderung sind heute näher geregelt in § 46 SGB IX. Mit der frühen Erkennung und Behandlung von Schädigungen lassen sich spätere kostenintensivere Maßnahmen verhindern (vgl. zur Frühförderung grundlegend OVG Saarland, Urteil v. 28.10.2011, 3 A 301/11). Ergibt sich bei einem Betroffenen, bei dem eine Legasthenie vorliegt, die Notwendigkeit einer Intensivtherapie in einer Einzel- oder Zweiermaßnahme und erweist sich die Förderung durch die Schule als ungeeignet, so sind die Kosten der Behandlung i. R.d. Eingliederungshilfe nach § 35 a von dem Träger der Jugendhilfe zu übernehmen (VG Düsseldorf, Urteil v. 28.7.2003, 19 K 8067/01). Heilpädagogische Maßnahmen als Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung für ein behindertes Kind zählen ebenso zu den möglichen Eingliederungshilfen nach § 35 a Abs. 3 (VG Sigmaringen, Urteil v. 28.1.2003, 9 K 1353/01; noch unter Bezugnahme auf den zum 31.12.2019 außer Kraft gesetzten § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 Nr. 1 EinglHVO). Die Betreuung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft als heiltherapeutische Maßnahme für die Dauer von ca. 4 Monaten kann Leistung der sozialen Rehabilitation i. R.d. Eingliederungshilfe nach § 35a sein (vgl. hierzu VG München, Urteil v. 14.5.2003, M 18 K 02.2084, noch unter Bezugnahme auf die zum 31.12.2019 außer Kraft gesetzte Regelung des § 12 Nr. 1 EinglHVO; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 16.8.2011, L 5 KR 175/11 B ER, LS 2 und Rz. 11 zur Unterbringung in einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Essstörungen).
Rz. 41
Die Bewilligung einer vollstationären Unterbringung i. S. d. § 35a Abs. 2 Nr. 4 wird nicht dadurch obsolet, wenn der Betroffene eine stationäre Psychotherapie i. S. d. § 40 beginnt und es für diese Therapie unabdingbar ist, dass der Leistungsberechtigte seinen Wohnplatz behält (VG Göttingen, Beschluss v. 22.10.2014, 2 B 306/14 Rz. 8). Zur Beseitigung oder Milderung einer seelischen Behinderung eines Schulkindes oder zur Verhütung einer drohenden Behinderung und zur Eingliederung des Kindes in die Gesellschaft kann im Einzelfall die Betreuung in einer Internatsschule gemäß § 35 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 im Ausland geeignet und erforderlich sein (zur Internatsunterbringung vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 27.10.2010, 12 B 974/10 noch unter Bezugnahme auf die zum 31.12.2019 außer Kraft gesetzte Regelung der §§ 53, 54 SGB XII, § 12 EinglHVO; zur Internatsunterbringung bei der Diagnose Hochbegabu...