Rz. 2

§ 36 regelt das Hilfeplanverfahren sowie die Mitwirkungsrechte der Anspruchsberechtigten (zu einem möglichen idealtypischen Ablauf des Hilfeplanverfahrens, vgl. Münder, § 36 SGB VIII, Rz. 57). Das Hilfeplanverfahren dient dem Ziel, den Bedarf erzieherischer Hilfe (§§ 27ff.) für einen jungen Menschen festzustellen und die für ihn notwendigen und geeigneten Hilfen zu bestimmen. Das Hilfeplanverfahren ist der wesentliche Schlüsselprozess zur Erbringung erzieherischer Hilfen. Es ist zweistufig aufgebaut. Auf der ersten Stufe fällt gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 die Hilfegrundentscheidung über die Gewährung einer Hilfe ("ob" Hilfe gewährt wird), auf einer zweiten Stufe ist gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 eine Hilfeartentscheidung über die einzelne Hilfeart zu treffen ("wie" geholfen wird). Das Hilfeplanungsverfahren ist kein Verwaltungsverfahren i. S. d. § 8 SGB X, auch wenn es Teile davon enthält (zum Verhältnis beider Verfahren vgl. Rz. 13; vgl. auch bei Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 07/2022, § 36 SGB VIII, Rz. 70).

 

Rz. 3

Im Zuge des Hilfeplanverfahrens wird als Teil des Verfahrens der Hilfeplan erstellt. Der Hilfeplan ist die Zusammenfassung der notwendigen Leistungen und der zu gewährenden Art der Hilfe sowie die Feststellung über den erzieherischen Bedarf insgesamt; er umfasst eine konkrete und inhaltlich festgelegte Zeit- und Zielplanung und benennt namentlich oder institutionell die jeweiligen Verantwortlichkeiten der Beteiligten zur Erbringung der vereinbarten (Teil-)Leistungen oder Verhaltensweisen (zum Inhalt des Hilfeplans vgl.: Wiesner, § 36 SGB VIII, Rz. 74). Der Hilfeplan findet seine Erwähnung in § 36 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1. Die Hilfeplanung ist einzelfallbezogen und eine formelle Voraussetzung der Hilfegewährung. Jugendhilfeleistungen, wie etwa Hilfe zur Erziehung (§ 27) oder auch Eingliederungshilfe (§ 35a), bauen regelmäßig auf einer Jugendhilfeplanung (§ 36) auf und sind an einem vom Jugendhilfeträger konkret festgestellten Hilfebedarf ausgerichtet (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 28.4.2021, 12 A 1753/18 Rz. 14). Eine Verletzung des Hilfeplanverfahrens stellt einen formellen Fehler dar, der zur Rechtswidrigkeit des Hilfebescheids des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe führen kann, wenn der Fehler nicht entsprechend § 41 SGB X (Heilung von Verfahrens- und Formfehlern) geheilt worden ist. Das schriftliche Fixieren des Hilfeplans i. S. v. § 36 ist jedoch keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (das Gesetz macht keine Angaben, darauf weist auch hin: v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 36 Rz. 29, vgl. auch hier Rz. 31); für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung, jedenfalls dann nicht, wenn die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne einen solchen festgestellt werden kann (BVerwG Urteil v. 24.6.1999, 5 C 24/98; im Ergebnis auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 26.3.2007, 7 E 10212/07; vgl. Rz. 15). Der Hilfeplan selbst ist kein Verwaltungsakt (vgl. Rz. 15) und damit auch nicht isoliert angreifbar (vgl. stellv. VG München, Urteil v. 18.2.2009, M 18 K 08.1445; so auch Wiesner, § 36 SGB VIII, Rz. 61 f.; Münder, § 36 SGB VIII, Rz. 51).

 

Rz. 4

Im Hilfeplanverfahren ist der anspruchsberechtigte Personenkreis in verschiedener Form am Verfahren zu beteiligen; namentlich folgende Beteiligungsformen gibt § 36 vor:

 

Rz. 5

Das Hilfeverfahren ist notwendig sowohl bei der Hilfegewährung durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als auch bei einem Träger der freien Jugendhilfe – vgl. § 3 Abs. 2. Beide Träger stehen insoweit gleichrangig nebeneinander (zum Gleichrangigkeitsprinzip in der Wohlfahrtsorganisation vgl. BVerfG, Entscheidung v. 18.7.1967, 2 BvF 3/62). Neben dem dualen System der Hilfeleistung gibt es das Auftragsmodell, d. h. der freie Träger kann die Hilfe derivativ, also abgeleitet vom öffentlichen Träger für diesen erbringen (so Kunkel/Kepert, in: LPK-SGB VIII, § 36 Rz. 4). In diesem Falle richtet sich der Umfang der Übertragung nach den Vereinbarungen zwischen den Trägern. Die Gesamtverantwortung bleibt in diesem Falle beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe – § 3 Abs. 2 Satz 2, § 79. Im Rahmen einer Art Rechtsaufsicht hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den freien Träger zu steuern. Zentrales Instrument ist dabei die Beteiligung an der Erstellung des Hilfeplans.

 

Rz. 6

Es muss der Behörde zumindest die Möglichkeit eröffnet worden sein, den gesetzlich in §§ 36ff. verankerten Kooperationsprozess in Gang zu setzen, bevor ein Anspruch gegen einen Träger der Kinder- und Jugendhilfe auf rückwirkende Übernahme der Kosten einer selbstbeschafften Jugendhilfemaßnahme entstehen kann (VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 14.7.2000, 19 K 5288/98 – vgl. zum Thema Selbstbeschaffung auch die Neuregelung in § 36a Abs. 3).

 

Rz. 7

Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF), die regelmäßig in ...

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