2.5.2.1 Personenkreis
Rz. 48
Die vermutete Entscheidungs- und Vertretungsbefugnis nach § 1688 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt unmittelbar für die Pflegeperson, bei der das Kind längere Zeit in Familienpflege ist, also für die Pflege- und Erziehungspersonen in Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung nach § 33. Außerdem stellt § 1688 Abs. 2 BGB der Pflegeperson bestimmte Personen gleich. Auch für die folgenden Personen gilt daher die vermutete Entscheidungs- und Vertretungsbefugnis:
- für Pflege- und Erziehungspersonen in Maßnahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a,
- für Erziehungspersonen bei der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung oder sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 34,
- für Erziehungspersonen im Rahmen der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung nach § 35 oder
- für Pflege- und Erziehungspersonen bei Gewährung der Eingliederungshilfe in einer Einrichtung oder einer sonstigen Wohnform i. S. d. § 35a.
Rz. 49
In allen Fällen muss es sich um eine Betreuung außerhalb der Familie handeln. § 1688 Abs. 2 BGB benennt als Vertretungsberechtigten die Person, die Erziehung und Betreuung eines Kindes übernommen hat; also die Pflegeperson. Dies ist die für die jeweilige Hilfegewährung verantwortliche Person. Bei Hilfegewährung in einer Einrichtung sind sowohl der Leiter der Einrichtung als auch die von ihm mit der Aufgabenwahrnehmung umfassend betrauten Personen entscheidungs- und vertretungsbefugt. Bei Pflegeeltern kommt es auf den Inhalt der Vereinbarung mit den Personensorgeberechtigten an.
2.5.2.2 Sachlicher Umfang des Entscheidungs- und Vertretungsrechts
Rz. 50
Die gesetzliche Vermutung bewirkt kein selbständiges (Teil-)Sorgerecht der Pflege- und Erziehungspersonen. Vielmehr bleibt das Sorgerecht der Personensorgeberechtigten unberührt (vgl. dazu BVerwG, Urteil v. 21.6.2001, 5 C 6/00). Die Rechtsstellung der Pflege- und Erziehungspersonen ist stets davon abgeleitet. Inhalt und sachliche Grenzen der Vertretungsbefugnis sind in § 1688 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB aufgeführt. Nach Abs. 1 Satz 1 umfasst die Entscheidungs- und Vertretungsbefugnis die Angelegenheiten des täglichen Lebens. In Abs. 1 Satz 2 sind beispielhaft aufgeführt:
- die Verwaltung des Arbeitsverdienstes des Kindes und
- die Geltendmachung und Verwaltung von Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind.
Rz. 51
Die Aufzählung ist beispielhaft und nicht abschließend. Es werden gerade solche Aufgaben genannt, bei denen aufgrund ihrer Tragweite ansonsten zweifelhaft wäre, ob sie noch zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens zählen.
Rz. 52
Daher zählen hierzu erst recht solche Angelegenheiten, die zwar zur Bewältigung des Alltags unerlässlich, aber von geringerer Bedeutung und Tragweite sind. "Angelegenheiten des täglichen Lebens" sind dabei i. d. R. solche, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (vgl. § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB). Es sind also die Alltags- und Routineangelegenheiten, in denen der Gesetzgeber die Vertretung des/der Personensorgeberechtigten durch Pflegeeltern vorsah. Hierunter fallen z. B. Kaufverträge zur Deckung des persönlichen Bedarfs an Kleidung, Arbeitsmittel oder Spielmaterial, Einwilligung zur Mitgliedschaft in Vereinen oder routinemäßige ärztliche Behandlung. Auch die ärztliche Versorgung gehört grundsätzlich zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens, abgesehen jedoch von schwerwiegenden medizinischen Eingriffen. Ferner gehören dazu Rechtsgeschäfte, die mit einem der in der Aufzählung genannten Bereiche in Zusammenhang stehen, wie etwa die Eröffnung eines Girokontos als Lohnkonto oder die Geltendmachung von Begleitansprüchen wie Gewährleistung und Schadensersatz.
Rz. 53
Abzugrenzen sind die Angelegenheiten des täglichen Lebens von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist. Diese nicht einbezogenen Angelegenheiten darf grundsätzlich nur der Personensorgeberechtigte selbst veranlassen. Die Grundentscheidungen sollen daher von den Personensorgeberechtigten getroffen werden (VG Göttingen, Urteil v. 24.2.2005, 2 A 424/03; VG München, Beschluss v. 11.2.2002, M 18 SE 01.5760). Der Personensorgeberechtigte kann aber die Pflege- oder Erziehungsperson dazu ermächtigen. Zu solchen Angelegenheiten i. S. d. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB gehören z. B. Entscheidungen über einen Schulwechsel, die Aufnahme einer Berufsausbildung oder über einen ärztlichen Eingriff. Gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ist bei dauernd getrennt lebenden Eltern in solchen Angelegenheiten ein gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Die Vertretungsbefugnis nach Nr. 3 bezieht sich allein auf Leistungen, die das Kind oder der Jugendliche selbst beanspruchen kann und nicht etwa auf Leistungen, die zwar letztlich dem Kind zugutekommen, bei denen aber der Personensorgeberechtigte Anspruchsinhaber ist. Letzterer ist z. B. anspruchsberechtigt für Leistungen nach § 39; denn es handelt sich um einen Annexanspruch zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, der dem Personensorgeberechtigten zugeordnet i...