Rz. 56

Sofern der Inhaber der Personensorge durch eine Erklärung nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB die Entscheidungsbefugnisse der Pflegeperson soweit einschränkt, dass dies eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Entwicklung nicht mehr ermöglicht – sowie nach Satz 2 auch bei sonstigen Meinungsverschiedenheiten – sollen die Beteiligten das Jugendamt einschalten.

2.5.3.1 Sollvorschrift

 

Rz. 57

Die Vorschrift ist als Sollvorschrift ausgestaltet. Sofern die Voraussetzungen der Norm vorliegen ist daher nur in atypischen Ausnahmesituationen davon abzusehen, das Jugendamt in seiner Vermittlerrolle einzuschalten. Diese Entscheidung hat sich allein am Kindeswohl zu orientieren. Keine (isolierte) Rolle in diesem Zusammenhang spielen die Interessen der Sorgeberechtigten oder der Pflegeperson. Zum Wohle des Kindes ist der atypische Fall, bei dem von der Einschaltung des Jugendamtes abgesehen werden kann, eng auszulegen.

2.5.3.2 Verpflichteter

 

Rz. 58

Adressat der Verpflichtung sind sowohl die Inhaber der Personensorge – also regelmäßig die Eltern – als auch die Pflegeperson. Eine unmittelbare Kontrolle der Adressaten ist zwar nicht vorgesehen; es ist aber davon auszugehen, dass bei Meinungsverschiedenheiten und bei dem Vorliegen einer Erklärung nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB die Beteiligten das Jugendamt einschalten werden. Die Pflegeperson wird dabei regelmäßig wegen des Vorrangs der Entscheidung des Trägers der elterlichen Sorge ein Interesse auf Einschaltung des Jugendamtes haben.

2.5.3.3 Voraussetzung

 

Rz. 59

Insoweit einzige Voraussetzung für die Verpflichtung zur Einschaltung des Jugendamtes ist die abweichende Erklärung der Sorgeberechtigten nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB von der Auffassung der Pflegeperson. Da an diese Erklärung formell keine großen Ansprüche zu stellen sind, ist die Pflicht zur Einschaltung des Jugendamtes in solchen Fällen regelmäßig schnell ausgelöst. § 38 trifft dabei eine Regelung für 2 verschieden gelagerte Konfliktlagen; zum einen, wenn es unterschiedliche Auffassung der Sorgeberechtigten und der Pflegeperson nach § 38 1. Var. in Grundsatzfragen gibt, zum anderen bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten i. S. v. § 38 2. Var. Da in beiden Fällen die Pflicht zur Einschaltung des Jugendamtes ausgelöst wird, kommt den beiden Varianten insoweit keine konstituierende Wirkung, sondern allenfalls eine graduelle Bedeutung für das Interventionsszenario des Jugendamtes zu.

 

Rz. 60

Dabei betrifft Satz 3 nur die Ausübung elterlichen Sorge. In der ursprünglichen Fassung des § 38 war nur die Personensorge erfasst, sodass nicht auch die Vermögenssorge betroffen war, die in § 1626 Abs. 1 Satz 1 2. Var. BGB eigenständiger Gegenstand der elterlichen Sorge nach § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB ist. Dies ergab sich zwanglos aus § 38 selbst, der nur den Inhaber der Personensorge anspricht. Durch die Überführung der Vorschriften zur elterlichen Sorge von § 38 a. F. in § 37 Abs. 3 sollte zwar offenbar keine Rechtsänderung einhergehen; der Gesetzgeber spricht in den Materialien davon, dass Abs. 3 dem § 38 a. F. entspricht (BR-Drs. 5/21 S. 86 = BT-Drs. 19/26107 S. 89). Dies dürfte im hier vorliegenden Fall aber nicht mehr gelten, da der Begriff der elterlichen Sorge der familienrechtlichen Oberbegriff ist und sowohl die Personensorge im engeren Sinne als auch die Vermögenssorge betrifft.

 

Rz. 61

Dabei ist die Vermögenssorge nicht allumfassend. Die Vermögenssorge erfasst das Kindesvermögen im weitesten Sinne, Eigentum ebenso wie Einkünfte. Nicht der Vermögenssorge, sondern der Personensorge wird die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes zugerechnet; § 1690 Abs. 1 BGB spricht deshalb von "Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und die Vermögenssorge" (so ausdrücklich der Gesetzgeber vgl. BT-Drs. 13/4899 S. 31); dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 1688 Abs. 1 Satz 2 BGB, der die Befugnisse der Pflegeperson näher umschreibt. Von der Personensorge ebenfalls umfasst und nicht der Vermögenssorge zuzurechnen sind dabei auch Taschengeld, Einrichtung eines Girokontos oder ähnliche Vorgänge.

2.5.3.4 Grundsatzentscheidungen

 

Rz. 62

Satz 3 sieht den Fall vor, dass durch die Erklärung nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB die Entscheidungsbefugnisse der Pflege- oder Erziehungsperson derart eingeschränkt wird, dass eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderliche Entwicklung nicht mehr möglich ist, dass die Beteiligten das Jugendamt einschalten sollen. Dies ist eine wertende Entscheidung im Einzelfall, die den Beteiligten, d. h. dem Personensorgeberechtigten und der Pflege- oder Erziehungsperson obliegt. Solche Konstellationen betreffen die Grundsatzentscheidungen der Personensorge und betreffen in der Regel das Kindeswohl im besonderen Maße. Denkbar sind hier Grundsatzfragen des Schulbesuchs, des Aufenthalts, des religiösen Bekenntnisses und ähnliches oder auch bei größeren medizinischen Eingriffen (zu den Fallgruppen vgl. BT-Drs. 13/4899 S. 58).

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