Rz. 5
§ 39 Abs. 1 Satz 1 gibt dem Anspruchsberechtigten einen Anspruch auf Sicherstellung des notwendigen Unterhalts (Pflegegeld). Die Vorschrift gewährt dabei einen zwingenden Rechtsanspruch (v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 39 Rz. 11). Der Anspruch kann nicht gekürzt werden, wenn die Eignung der Pflegeperson infrage steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 9.7.2003, 9 S 1070/03). Der Begriff des notwendigen Unterhalts stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt (Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 06/2021, Werkstand: 2023, § 39 SGB VIII, Rz. 9). Voraussetzung für die Gewährung des notwendigen Unterhalts als Annexleistung ist nach der Verweisungsvorschrift des Abs. 1 Satz 1 eine Hilfe zur Erziehung außerhalb des Elternhauses in Form der Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32), der Vollzeitpflege (§ 33), der Erziehung im Heim oder in sonstiger betreuter Wohnform (§ 34), der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35) oder der Eingliederungshilfe (§ 35a; vgl. hierzu auch: VG Göttingen, Beschluss v. 7.4.1997, 2 B 2036/97). Dabei entfaltet eine zivilrechtliche Entscheidung des Familiengerichts, einer Großmutter die elterliche Sorge für ihre minderjährigen Enkelkinder nach § 1630 Abs. 3 BGB zu übertragen, hinsichtlich ihrer persönlichen Eignung keine Bindungswirkung im Verfahren nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 22.11.2022, 4 L 277/21; das anderslautende erstinstanzliche Urteil wurde damit aufgehoben: VG Halle (Saale), Urteil v. 10.11. 2021, 5 A 363/21 mit insoweit bereits kritischen Anm. in JAmt 2022 S. 461; vgl. auch Rz. 45, 45a; vgl. insoweit vertiefend die Komm. zu § 33 Rz. 26 und die Komm. zu § 27 Rz. 37a, 45a).
Schon nach dem Wortlaut von § 39 Abs. 1 Satz 1 ist daher ein Unterhaltsanspruch bei ambulanten Hilfen ausgeschlossen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 10.11.2014, L 19 AS 1772/14 B ER Rz. 21). Die Voraussetzungen der Hilfe zur Erziehung dürfen dabei nicht nur zu Beginn, sondern müssen während der gesamten Zeit der Unterbringung vorliegen. Nicht erforderlich ist eine materielle Bedürftigkeit (Wiesner, § 39 SGB VIII, Rz. 10, der allerdings auf eine mögliche Kostenerstattung hinweist – § 92 Abs. 3; ihm folgend auch Winkler, in: BeckOK, SGB VIII, Stand: 1.12.2022, § 39 Rz. 5). § 39 Abs. 1 Satz 1 ordnet als eigenständiges Tatbestandsmerkmal an, dass der notwendige Unterhalt außerhalb des Elternhauses – also "in einer anderen Familie" – zu leisten ist. In Anlehnung an die Vollzeitpflege i. S. d. § 33, die nur in einer anderen Familie als der Herkunftsfamilie geleistet werden kann, ist mit dem Merkmal "Elternhaus" ausschließlich die "Kernfamilie", bestehend aus Eltern und Kind, erfasst. Das Merkmal außerhalb des Elternhauses ist daher bereits bei einer Unterbringung bei Verwandten erfüllt mit der Konsequenz, dass ein Anspruch auf den notwendigen Unterhalt auch bei der Verwandtenpflege besteht.
Die Kosten der Verpflegung eines Kindes oder Jugendlichen während seiner Aufenthalte im Elternhaus gehören daher nicht zu seinem notwendigen Unterhalt i. S. v. Abs. 1 Satz 1; hier kann allenfalls ein Anspruch nach dem SGB II oder SGB XII bestehen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 21.8.2008, 7 A 10443/08). Damit kann das Pflegegeld nicht verweigert werden mit einem Hinweis auf eine Verwandtschaft oder Verschwägerung, auch nicht mit dem Hinweis, die Unterbringung in einer anderen nicht verwandten Pflegefamilie diene dem Wohl des Kindes besser als die Gewährung der Hilfe in einer Verwandtenpflege. Damit kann weder den Großeltern noch anderen nahen Verwandten – wie Onkel, Tante oder ältere Geschwister – grundsätzlich der Anspruch verwehrt werden (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil v. 9.12.2014, 5 C 32/13 Rz. 23, 26; hierzu auch Hoffmann, in: jurisPR-FamR 10/2015 Anm. 1). Das gilt selbst dann, wenn die Eltern des Kindes oder Jugendlichen ebenfalls bei den Großeltern wohnen (BVerwG, Urteil v. 1.3.2012, 5 C 12/11, LS 1 und Rz. 14, so auch bereits die Vorinstanz OVG Lüneburg, Beschluss v. 13.1.2011, 4 LB 257/09). Danach ist ein Großelternteil, der zugleich Vormund seiner Enkelkinder ist, befugt, den Anspruch auf Leistungen nach § 39 für eine im Haushalt der Großeltern erfolgende Pflege der Enkelkinder geltend zu machen; der Anspruch besteht jedoch nur, wenn die Großeltern die Betreuung ihrer Enkelkinder nicht in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht leisten und zur unentgeltlichem Pflege nicht bereit sind (st. Rspr. vgl. stellv. BVerwG, Urteil v. 4.9.1997, 5 C 11.96; hierzu insbesondere auch DIJuF-Rechtsgutachten v. 31.7.2003, J 3.310 a Kü, JAmt 2003 S. 473; Sächs. OVG, Beschluss v. 28.5.2009, 1 A 54/08, das die Unterhaltspflicht im konkreten Falle mangels Leistungsfähigkeit der Großeltern verneinte). Dies ist zu vermuten, wenn die Großeltern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse den notwendigen Unterhalt eines zur Pflege in ihren Haushalt aufgenommenen Enkelkindes nicht ...