Rz. 5
§ 41 Abs. 1 Satz 1 regelt sowohl die Anspruchsvoraussetzungen (vgl. unter Abschnitt Voraussetzungen im Einzelnen nach Abs. 1 Satz 1, Rz. 9 ff.) als auch den anspruchsberechtigten Personenkreis. Danach erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe nach diesem Abschnitt, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet.
Rz. 6
Satz 1 ist durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 inhaltlich überarbeitet worden. Durch die Überarbeitung ist nunmehr klargestellt, dass es sich um einen echten Anspruch i. S. eines subjektiven Rechts handelt; der Gesetzgeber hat die "Soll"-Regelung in der alten Fassung ausdrücklich aufgegeben (vgl. unter Abschnitt Rechtsfolge nach Satz 1, Rz. 25 ff.).
Rz. 7
Die Altersgrenzen für die Hilfen ergeben sich hingegen aus Abs. 1 Satz 2 (vgl. insoweit unter Abschnitt Altersgrenzen nach Satz 2, Rz. 34).
Rz. 8
Anspruchsberechtigte für die Leistungen nach § 41 sind nicht mehr die Eltern, sondern die jungen Volljährigen selbst, die diesen Anspruch ggf. einklagen müssen. Folgerichtig steht den Eltern des jungen Volljährigen hinsichtlich der Maßnahmen nach § 41 keinerlei Wunsch- und Wahlrecht zu (Bay. VGH, Beschluss v. 28.6.2016, 12 ZB 15.1641 Rz. 36 mit Anm. von Dirnaichner, KommunalPraxis BY 2018 S. 75). Der Begriff "junger Volljähriger" ist legaldefiniert; nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 sind dies diejenigen, die das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben. Ausdrücklich nicht "mehr" anspruchsberechtigt ist der junge Mensch. Der "junge Mensch" i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 4 ist derjenige, der das 27. Lebensjahr vollendet hat.
2.1.1.1 Voraussetzungen im Einzelnen nach Abs. 1 Satz 1
Rz. 9
Die Anspruchsvoraussetzungen regelt § 41 Abs. 1 Satz 1. Danach erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe nach dem Vierten Abschnitt (Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, Hilfe für junge Volljährige), wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Der Gesetzgeber hat den ursprünglich noch bis 9.6.2021 geltenden Begriff der Notwendigkeit durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 gestrichen und ersetzt durch den Begriff nicht gewährleistet.
Rz. 10
Die Überprüfung der tatbestandlichen – zumeist mittels unbestimmter Rechtsbegriffe umschriebenen – Voraussetzungen der Volljährigenhilfe unterliegt einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 2.7.2014, 12 B 630/14 Rz. 4; a. A. aber offenbar Bay VGH, Beschluss v. 6.2.2017, 12 C 16.2159, der die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfen will).
2.1.1.1.1 Notwendigkeit – alte Rechtslage bis 9.6.2021
Rz. 11
Bis zum 9.6.2021 galt der Begriff der Notwendigkeit.
Rz. 12
Aufgrund der Eigenständigkeit des Anspruchs knüpft die Gewährung der Volljährigkeitshilfe nicht an einen wie auch immer gearteten Erziehungsbedarf an. Notwendig, aber auch ausreichend als Voraussetzung für die Förderung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 ist, dass die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist (Wiesner, § 41 SGB VIII, Rz. 9, der zutreffend die Unschärfe der Tatbestandsvoraussetzungen kritisiert; vgl. unten Rz. 6). § 41 knüpft hierbei ausdrücklich nicht mehr an die Schul- oder Berufsausbildung des Anspruchstellers an (dies forderten die heute nicht mehr gültigen Vorschriften § 6 Abs. 3, § 75 a JWG; vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 25.2.1998, 4 L 5734/96). Aufgrund der Intention des § 41, die Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung der eigenverantwortlichen Lebensführung zu fördern, kann der Anspruch sogar dann gegeben sein, wenn eine Ausbildung bereits beendet ist. Notwendig ist auch nicht die Gewährung von Hilfe zur Erziehung bereits vor Beginn der Volljährigkeitsgrenze (Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 01/2018, § 41 SGB VIII, Rz. 8b).
Rz. 13
Mit dem Begriff der Notwendigkeit der Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und Lebensführung ist deren Geeignetheit angesprochen. Die Eingliederungshilfe i. S. v. § 41 Abs. 2 muss das geeignete und erforderliche Mittel sein, den Entwicklungsrückständen des jungen Volljährigeren entgegenzuwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 12.62014, 12 A 659/14 Rz. 3). Dies ist eine Frage des Einzelfalls (zur Frage der Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.1.2012, 12 B 1583/11, Rz. 5; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 16.10.1995, 7 S 1345/93; vgl. auch VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 16.10.2003, 19 L 2526/03; VG Minden, Beschluss v. 21.8.2014, 6 K 353/14). Die Geeignetheit einer Hilfe setzt regelmäßig zunächst die Störung der Persönlichkeitsentwicklung und der eigenverantwortlichen ...