Rz. 68

Für das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB VIII und den Leistungen nach dem SGB IX und SGB XII hält § 10 Abs. 4 Satz 1 eine Regelung bereit. Danach gehen grundsätzlich die Leistungen der Jugendhilfe diesen Leistungen vor. Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 gehen jedoch abweichend von Satz 1 Leistungen nach § 27a Abs. 1 i. V. m. § 34 Abs. 6 SGB XII und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Dabei handelt es sich um keine Ausnahme vom Grundsatz des § 10 Abs. 4 Satz 1, sondern um eine klarstellende Regelung, da das SGB VIII keine Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, bereitstellt. Die Vorschriften machen deutlich, dass die vorrangige Zuständigkeit der Jugendhilfe für Maßnahmen der Eingliederungshilfe grundsätzlich nicht mit der Volljährigkeit endet, sondern bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres fortbesteht (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 13.5.2002, J 3.312 An, JAmt 2002 S. 400 f.; Münder, § 41 SGB VIII, Rz. 16; vgl. auch Wiesner, § 41 SGB VIII, Rz. 49). § 10 Abs. 4 Satz 2 ordnet den Vorrang der dortigen Eingliederungshilfe gerade nur bei einer körperlichen oder geistigen Behinderung an; im Umkehrschluss ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass es für seelisch behinderte junge Menschen beim Vorrang der Jugendhilfe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 verbleibt (vgl. auch Komm. zu § 35a, Rz. 19). Ob dabei Volljährigenhilfe zu leisten ist oder in Ermangelung der Voraussetzungen auf die Vorschriften zur Eingliederungshilfe zurückgegriffen werden muss, ist im Einzelfall zu entscheiden. Ob bei einem geistig behinderten jungen Volljährigen Hilfen nach dem SGB IX oder nach § 41 zu gewähren sind, kann nur aufgrund einer eingehenden amtsärztlichen Begutachtung mit entsprechender Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Erfolgsaussichten (zur Bedeutung der Erfolgsprognose vgl. Rz. 12) der Hilfe nach § 41 entschieden werden (VG Wiesbaden, Beschluss v. 15.11.2001, 2 G 2098/01). Die Eingliederungshilfe für eine seelisch behinderte junge Erwachsene, die auf absehbare Zeit nicht eigenverantwortlich leben oder wohnen kann, ist vom Jugendamt zu zahlen(vgl. DIJuF-Rechtsgutachten v. 29.12.2004, J 3.305 Sch, JAmt 2005 S. 18; das Gutachten verhielt sich noch zur nicht gegebenen Einstandspflicht des Trägers der Sozialhilfe i. S.d. § 54 SGB XII a. F.). Sofern eine Maßnahme deutlich über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus geht oder gar dauerhaft fortzuführen sein wird, handelt es sich mangels eines "begrenzten Zeitraumes" i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 2 HS 2 nicht um eine jugendhilferechtliche Maßnahme nach den §§ 41, 35a. Vielmehr ist der Träger nach § 10 Abs. 4 Satz 2 leistungszuständig (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 21.5.2012, L 20 SO 608/10). Im Interesse des jungen Erwachsenen verbleibt es bei dem Zusammentreffen einer geistigen und seelischen Behinderung für die Gewährung von Jugendhilfe gemäß § 41 Abs. 1 bei der Zuständigkeit der Jugendhilfeträger und zwar trotz des Nachrangs gemäß § 10 Abs. 4, wenn aufgrund besonderer Umstände nur auf diese Weise die Kontinuität der Hilfeform gesichert werden kann (VG Frankfurt, Urteil v. 28.9.2011, 7 K 2830/10.F). Eine Maßnahme der Jugendhilfe verliert dabei nicht dadurch ihren Charakter als Jugendhilfe, dass ein anderer Träger die Hauptkosten trägt und auch Art und Inhalt der Maßnahme bestimmt. Der örtliche Träger der Jugendhilfe bleibt deshalb verpflichtet, die von einem anderen Träger nicht getragenen Nebenkosten (wie z. B. Bekleidungshilfen, Barbetrag etc.) zu übernehmen, und kann von diesem Träger nicht verlangen, ihm diese Kosten zu erstatten (OVG Lüneburg, Urteil v. 12.4.2000, 4 L 2906/99). Für die Förderung der Teilnahme behinderter Jugendlicher an Ausbildungsmaßnahmen nach dem SGB III i. V. m. § 33 SGB IX durch die Bundesagentur für Arbeit ist der Jugendhilfeträger weiterhin zuständig für die Übernahme der Kosten der auswärtigen Unterbringung gemäß § 41 i. V. m. §§ 27 ff., wenn die Gründe für die auswärtige Unterbringung nicht in erster Linie Gründe der Berufsförderung, sondern solche der allgemeinen Rehabilitation waren (SG Konstanz, Urteil v. 7.2.2007, S 7 AL 1253/06 – das Gericht ging im Urteil von erzieherischen Gründen aus und wies dem Träger der Jugendhilfe die Kostentragungspflicht zu; zur Vorrangigkeit der von der Bundesagentur für Arbeit zu erbringenden Hilfeleistungen vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.9.2009, 12 A 2518/08).

 

Rz. 69

Leistungen, die ein Berechtigter nach § 41 erhält, sind gemäß § 10 Abs. 1 gegenüber Unterhaltsansprüchen nachrangig und führen deshalb nicht zum Erlöschen der Unterhaltsansprüche (OLG Köln, Urteil v. 30.8.2001, 14 UF 143/00).

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