0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Für die Aufnahme eines Pflegekindes bedurfte die Pflegeperson bereits nach § 28 JWG der Erlaubnis des Jugendamtes. Dieser Erlaubnisvorbehalt wurde durch das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts v. 26.6.1990 (BGBl I S. 1163) zum 3.10.1990 bzw. 1.1.1991 in § 44 übernommen. Dieser Erlaubnisvorbehalt galt zunächst grundsätzlich für alle Formen der Familienpflege, auch für die Tagespflege. Dies änderte sich mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) v. 8.9.2005 (BGBl I S. 2729). Hierdurch wurde die Kindertagespflege aus der Vorschrift ausgeklammert und eigenständig in § 43 geregelt. Ferner brachte dieses Gesetz eine Anpassung und Klarstellung bei der Legaldefinition der Pflegeperson sowie eine Änderung der Ausnahmevorschriften in Abs. 1 Satz 2; diese Ausnahmevorschriften waren zuvor schon durch das 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) und das 2. SGB VIII-ÄndG v. 15.12.1995 (BGBl I S. 1775) geändert worden. Durch Art. 2 Nr. 12 BKiSchG v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 2975) wurde mit Wirkung zum 1.1.2012 in Abs. 2 ein Verweis auf § 72a Abs. 1 und 5 angefügt.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift enthält eine Rahmenregelung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der Vollzeitpflege. Die Vorschrift enthält damit kein Leistungsrecht, sondern gibt den Jugendämtern als "andere Aufgabe" i. S. d. § 2 Abs. 1 und 3 Eingriffs- und Überwachungskompetenzen, um das Kindeswohl in der Vollzeitpflege zu gewährleisten. Mit Vollzeitpflege ist gemeint, dass ein Minderjähriger außerhalb seines Elternhauses von einer Privatperson über Tag und Nacht aufgenommen wird, z. B. bei einer Pflegefamilie. In Abgrenzung dazu liegt (lediglich) eine Tagespflege nach § 43 vor, wenn die Betreuung nur während eines Teils des Tages stattfindet. Erfolgt die Betreuung – ganztägig oder während eines Teils des Tages – demgegenüber in einer Einrichtung, so ist § 45 einschlägig. Bei der Vollzeitpflege erfährt der Minderjährige (präventiven) Schutz, indem nicht jedermann eine solche Pflegestelle betreiben kann. Vielmehr bedarf die Pflegeperson hierzu nach Abs. 1 grundsätzlich (Ausnahmen enthält Satz 2) einer – vorherigen – Erlaubnis, die das Jugendamt nach Abs. 2 zu versagen hat, wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist. Ferner soll das Jugendamt nach Erteilung der Erlaubnis entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles gemäß Abs. 3 Satz 1 kontrollieren, ob in der Pflegestelle weiterhin das Wohl des Kindes gewährleistet ist. Ist das nicht der Fall, so hat das Jugendamt die Erlaubnis zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn die Pflegeperson nicht bereit oder in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden (Abs. 3 Satz 2). Als weiteres Schutzinstrumentarium ist in Abs. 4 vorgesehen, dass die Pflegeperson nach Erlaubniserteilung in einer Informationspflicht steht: Sie hat das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen betreffen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass das Jugendamt in den notwendigen Kenntnisstand versetzt wird, um ggf. einschreiten zu können.
2 Rechtspraxis
2.1 Erlaubnisvorbehalt
2.1.1 Eingreifen des Erlaubnisvorbehalts (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 3
Grundsätzlich steht nach Abs. 1 Satz 1 jede (Vollzeit-)Pflegestelle unter einem sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dies besagt, dass vor Aufnahme der Vollzeitpflege eine Erlaubnis des zuständigen Jugendamtes einzuholen ist. In der Folge zieht das eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Personensorgeberechtigten nach sich, da diese in ihrem Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind beschränkt werden; sie können nicht uneingeschränkt bestimmen, wo sie ihre Kinder in Pflege geben. Gleichzeitig sind auch Rechtspositionen der Pflegeperson (Schutz der Pflegefamilie, Gewerbefreiheit, Handlungsfreiheit) betroffen (BT-Drs. 11/5948 S. 83). Diese Einschränkungen sind aber gerechtfertigt, weil das Wohl von Kindern und Jugendlichen höher zu bewerten ist, als die vorgenannten Rechtspositionen.
Rz. 4
Der Erlaubnisvorbehalt gilt für jede Pflegeperson. Pflegeperson ist nach der Legaldefinition in Abs. 1 Satz 1, "wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinem Haushalt aufnehmen will" (diese Legaldefinition gilt für das gesamt SGB VIII, BVerwG, Urteil v. 1.9.2011, 5 C 20/10). Anders also als bei der Tagespflegeperson nach § 43 erfolgt die Aufnahme hier ganztägig, also über 24 Stunden. Dies führt regelmäßig dazu, dass der Minderjährige bei der Pflegeperson zumindest vorübergehend seinen Lebensmittelpunkt findet, also dort wohnt. Aber auch kurzfristige Aufenthalte fallen hierunter. Dies zeigt ein Vergleich zur Ausnahmeregelung in Satz 2 Nr. 4, wonach die Aufnahme aus dem Erlaubnisvorbehalt aus Satz 1 (wieder) herausgenommen wird, wenn sie bis zu 8 Wochen andauern soll. Ferner muss eine Aufnahme in den Haushalt der Pflegeperson erfolgen. Hierunter fallen alle privaten Wohnformen, unabhängig davon, wie sie organisiert sind. Es kann sich um eine Familie, aber auch eine alleinstehende Person handeln...