2.5.1 Unverhältnismäßige Mehrkosten
2.5.1.1 Der Kostenvergleich
Rz. 9
Der Wahl und den Wünschen soll gemäß Abs. 2 Satz 1 entsprochen werden. Dies bedeutet, dass eine Ermessensreduzierung auf Null eintritt, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen und keine atypischen Umstände eine andere Entscheidung gebieten. Der Anspruch besteht nur, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterliegt (Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII, § 5 Rz. 11c, mit Hinweis auf BVerwG, Beschluss v. 18.8.2003, 5 B 14.03; VG Saarlouis, Urteil v. 12.1.2018, 3 K 146/15).
Rz. 9a
Infolgedessen ist ein Kostenvergleich anzustellen. Die Kosten, die bei Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts voraussichtlich entstehen werden, müssen mit denjenigen Kosten verglichen werden, die dann entstünden, wenn der öffentliche Träger der Jugendhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen die Einrichtung auswählen und die Gestaltung der Hilfe festlegen würde. Da Kosten ermittelt werden müssen, die in der Zukunft entstehen, müssen vielfach prognostische Zahlen miteinander verglichen werden. In den Kostenvergleich dürfen nur geeignete Leistungen einbezogen werden, die durch geeignete Einrichtungen und Dienste erbracht werden. Dies setzt eine sorgfältige Ermittlung des Jugendhilfebedarfs im konkreten Einzelfall voraus. Daraus kann sich ergeben, dass wegen der Besonderheiten des Einzelfalles bestimmte Leistungen oder bestimmte Einrichtungen und Dienste nicht geeignet sind. Den Vollkosten einer Maßnahme in der ausgewählten Einrichtung oder durch den ausgewählten Dienst und in der gewünschten Gestaltung müssen die Vollkosten der vom Träger für geeignet erachteten Maßnahme gegenübergestellt werden. Es müssen also alle Kostenbestandteile einbezogen werden. Dies kann insbesondere dann Probleme aufwerfen, wenn öffentlich finanzierte Einrichtungen in den Vergleich einbezogen werden. Sowohl bei den Personal- als auch bei den Sachkosten müssen dann auch Fixkosten und Gemeinkosten zugerechnet werden (dazu BVerwG, Beschluss v. 25.8.1987, 5 B 50/87).
Rz. 9b
Problematisch ist der Kostenvergleich zwischen unterschiedlich finanzierten Trägern. Sind in dem Kostenvergleich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls neben den Kosten, die bei einer – von der leistungsberechtigten Person gewünschten – Hilfegewährung durch einen Träger der freien Jugendhilfe erwachsen, Kosten einzubeziehen, die bei Erbringung der Hilfe unter Inanspruchnahme einer eigenen Einrichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe aufzuwenden wären, müssen die in den gleichwertigen Einrichtungen entstehenden Vorhalte- und Regiekosten entweder bei beiden Trägern außer Betracht bleiben oder bei beiden Trägern angesetzt werden (Wiesner/Wapler/Wapler, a. a. O., Rz. 14, mit Hinweis auf BVerwG, Beschluss v. 27.8.1987, 5 B 50/87). Bei einem Vergleich der Kosten eines mit pauschalen Zuschüssen geförderten freien Trägers mit den Kosten, die mit der Inanspruchnahme eines anderen, nicht pauschal finanzierten Trägers der freien Jugendhilfe verbunden sind, müssen die der Pauschalfinanzierung zugrunde liegenden und prognostisch zur Befriedigung eines bestimmten Bedarfs festgesetzten Kosten auf den Einzelfall bezogen und mit den im anderen Fall zu übernehmenden individuellen Kosten der Inanspruchnahme verglichen werden (Wiesner/Wapler/Wapler, a. a. O., mit Hinweis auf OVG Hamburg, Beschluss v. 24.10.1994, Bs IV 144/94). Bei der Frage, wie die durchschnittlichen Kosten zu ermitteln sind, bei deren Überschreitung Anlass für eine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit besteht, wird regelmäßig auf einen überregionalen Vergleich abgestellt. Würde man hierbei auf den Bereich des örtlichen Trägers abstellen, so werde bei niedrigem Kostenniveau insbesondere im Bereich der Einrichtungshilfen jeder soziale Fortschritt verbaut. Dieses Argument kann jedoch allenfalls bei der Einrichtungsfinanzierung eine Rolle spielen, nicht jedoch beim hiervon getrennt zu behandelnden Wunschrecht als einem Bestandteil des Leistungsanspruchs (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 5 Rz. 50).
2.5.1.2 Unverhältnismäßige Mehrkosten
Rz. 10
Nach allgemeiner Auffassung sollen Mehrkosten von 20 % i. d. R. noch als angemessen anzusehen sein. Dieser Prozentsatz kann jedoch nur einen groben Anhaltspunkt darstellen. Denn die Verhältnismäßigkeit bzw. die Unverhältnismäßigkeit kann nur aufgrund einer wertenden Betrachtung im Einzelfall festgestellt werden. Die für die Wahl einer bestimmten Einrichtung oder eines bestimmten Dienstes und für den Wunsch nach einer bestimmten Ausgestaltung der Hilfe sprechenden Gründe haben in jedem Einzelfall unterschiedliches Gewicht (vgl. OVG Berlin, Urteil v. 21.11.2002, 6 B 7.02). Sie sind außerdem zumeist zahlenmäßig nicht darstellbar und lediglich im Rahmen einer wertenden Betrachtung zu gewichten. Als Gründe kommen die Entfernung der Einrichtung von der Wohnung, die Öffnungszeiten der Einrichtung, deren religiöse Orientierung...