2.2.1 Definition Ermittlungsverfahren
Rz. 13
Ein Ermittlungsverfahren gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden beginnt mit der Aufnahme der Ermittlungen entweder aufgrund einer Strafanzeige oder von Amts wegen und endet entweder mit einer Einstellung oder der Erhebung der Anklage oder – ausschließlich bei Jugendlichen – dem Antrag auf Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren (§§ 76ff. JGG). Die Staatsanwaltschaft ist die sog. Herrin des Verfahrens, d. h. nur sie (nicht die Polizei) entscheidet über den Abschluss der Ermittlungen und die Form der Beendigung des Verfahrens.
Rz. 14
Die Ermittlungen führen entweder die Staatsanwaltschaft oder – im Regelfall – die Polizei. Im Bereich der Polizei sind in einigen Bundesländern speziell geschulte sog. Jugendsachbearbeiter in Jugendverfahren tätig. Bundesweit werden im Übrigen bei allen Staatsanwaltschaften die sog. Jugendverfahren (gegen Jugendliche und Heranwachsende) von den durch die jeweilige Behördenleitung besonders bestellten Jugendstaatsanwälten/-innen bearbeitet (§ 36 JGG). Die Jugendstaatsanwälte/-innen sollen – ebenso wie die Jugendrichter/-innen – gemäß § 37 JGG erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein.
2.2.2 Unterrichtung über die Einleitung
Rz. 15
Voraussetzung für die Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden nach dem JGG ist zunächst, dass sie von dem Verfahren überhaupt Kenntnis erlangt. Nach § 70 Abs. 1 JGG wird die Jugendgerichtshilfe von der Einleitung und dem Ausgang des Verfahrens unterrichtet. Da im Regelfall Strafanzeigen bei der Polizei erstattet werden, haben die Polizeibehörden mithin als erste staatliche Stellen Kenntnis von einem Ermittlungsverfahren. Die Polizeibehörden unterrichten deshalb in diesen Fällen regelmäßig unmittelbar die Jugendgerichtshilfe aufgrund entsprechender Dienstvorschriften (z. B. Nr. 3.2.7., wonach das Jugendamt und sonst zuständige Behörden unverzüglich zu unterrichten sind, wenn schon während der polizeilichen Ermittlungen erkennbar wird, dass Leistungen der Jugendhilfe infrage kommen, in allen Fällen spätestens mit der Abgabe der Ermittlungsvorgänge an die Staatsanwaltschaft, sofern eine Gefährdung Minderjähriger vorliegt). Die Unterrichtung sollte – entsprechend der im Gesetz verankerten Verpflichtung zu einer möglichst frühzeitigen Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 Abs. 3 Satz 2 JGG) – zeitnah nach Aufnahme der Ermittlungen erfolgen. Nimmt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf, obliegt ihr die Unterrichtung der Jugendgerichtshilfe. Dies gilt ebenso, falls eine Unterrichtung durch die Polizei unterblieben ist.
Rz. 16
In § 70 Satz 2 JGG ist eine besondere Benachrichtigungspflicht für die Jugendgerichtshilfe enthalten. Danach benachrichtigt sie den Staatsanwalt, wenn ihr bekannt wird, dass gegen den Beschuldigten noch ein anderes Strafverfahren anhängig ist. Diese Regelung bezieht sich ausdrücklich nur auf ein anderes Strafverfahren. Sinn dieser Vorschrift ist, dass nach Möglichkeit mehrere Verfahren gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden zum Zwecke der Herbeiführung einer einheitlichen Sanktion (§ 31 JGG) verbunden werden können. Für die Jugendgerichtshilfe wird aus § 70 Satz 2 JGG keine Anzeigepflicht begründet, wenn nur ihr eine Straftat eines Jugendlichen oder Heranwachsenden bekannt geworden ist. Eine Verpflichtung zur Erstattung einer Strafanzeige hat die Jugendgerichtshilfe – mit Ausnahme der aus § 138 StGB abgeleiteten Anzeigepflicht für jedermann bei geplanten gravierenden Straftaten – grundsätzlich nicht.
2.2.3 Formen der Mitwirkung
Rz. 17
Nach der Unterrichtung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden hat das Jugendamt in jedem Fall nach Abs. 2 Satz 1 frühzeitig zu prüfen, ob aus Anlass der Straftat Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen. Über diese Prüfungspflicht hinaus richten sich Art und Umfang ihrer Mitwirkung im Übrigen nach den Umständen des Einzelfalles.
Stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Durchführung der Ermittlungen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen mangels hinreichenden Tatverdachts ein (§ 170 Abs. 2 StPO), bedarf es im Regelfall einer weiteren Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe im Verfahren nicht (mehr).
Rz. 18
Ist aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs und/oder aufgrund besonderer Umstände in der Persönlichkeit des Täters wegen Schwere der Schuld oder des Vorliegens schädlicher Neigungen die Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten (§ 17 Abs. 2 JGG) oder aus anderen Gründen ein förmliches Verfahren vor dem Jugendrichter geboten, ist die Jugendgerichtshilfe in den Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft so früh wie möglich heranzuziehen (§ 43 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 38 Abs. 3 JGG). Nur so ist ihr eine zeitnahe Kontaktaufnahme mit dem Jugendlichen oder Heranwachsenden zur Einleitung und Durchführung möglicher Leistungen der Jugendhilfe sowie zur Vorbereitung und Erstellung eines aussagekräftigen Berichts zur Persönlichkeit des Täters und den zu ergreifenden Maßnahmen möglich. In diesen Fällen wir...