Rz. 19

Nach Abs. 2 Satz 2 hat das Jugendamt – falls nach seiner Prüfung Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen oder geeignete Leistungen bereits eingeleitet oder gewährt worden sind – den Staatsanwalt umgehend davon zu unterrichten, damit geprüft werden kann, ob diese Leistung ein Absehen von der Verfolgung (§ 45 JGG) ermöglicht. Diese Vorschrift unterstreicht die Wichtigkeit des im Jugendgerichtsverfahren geltenden Diversionsgedankens, d. h. die Vermeidung förmlicher jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen durch die Gewährung erzieherischer Maßnahmen im Ermittlungsverfahren. Es handelt sich in der Praxis um den wichtigsten Bereich der Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe im Ermittlungsverfahren. Neben der gesetzlich vorgegebenen Prüfungs- und Unterrichtungspflicht der Jugendgerichtshilfe kann die Staatsanwaltschaft ihrerseits die Jugendgerichtshilfe auch ersuchen, geeignete erzieherische Maßnahmen zu prüfen und einzuleiten und über ihre Erledigung zu unterrichten, mit der Folge, dass auch dann von der Verfolgung abgesehen werden kann. Ein Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 JGG spielt in der Praxis im Jugendverfahren eine bedeutende Rolle. Dies ist vor dem Hintergrund, dass es sich nach zahlreichen und in ihren Ergebnissen weitgehend übereinstimmenden Erhebungen bei der Straffälligkeit von Jugendlichen und Heranwachsenden vielfach um ein einmaliges oder episodenhaftes Verhalten handelt, weitgehend zu begrüßen.

 

Rz. 20

In Betracht kommt im Einzelnen in Bagatellfällen ein folgenloses Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO (geringes Verschulden, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung) vorliegen. Nach § 45 Abs. 2 JGG sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Abs. 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Hier liegt in der Praxis der Schwerpunkt der Zusammenarbeit zwischen der Jugendgerichtshilfe und der Staatsanwaltschaft im Diversionsverfahren. Der Jugendgerichtshilfe obliegt die Prüfung, ob und ggf. welche erzieherischen Maßnahmen bereits durchgeführt worden sind oder aufgrund eigener Entscheidung oder auf Vorschlag des Staatsanwalts einzuleiten sind. § 45 Abs. 3 JGG schließlich regelt die Fälle, in denen eine Einstellung nach Ermahnung oder Erfüllung einer Weisung durch den Jugendrichter in Betracht kommt. Auch in diesen Verfahren wird die Jugendgerichtshilfe vielfach tätig.

 

Rz. 21

Die Zusammenarbeit zwischen Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft (und auch der Polizeibehörde) in Verfahren gemäß § 45 JGG ist in vielen Bundesländern durch gemeinsame Erlasse der Justiz-, Innen- und Jugendressorts entsprechend geregelt (z. B. in NRW durch den gemeinsamen Erlass v. 13.7.2004, JMBl. NW 2004 S. 190, sog. Diversionsrichtlinien).

 

Rz. 22

Jedes Absehen von der Verfolgung gemäß § 45 JGG wird in das Erziehungsregister eingetragen (§ 60 BZRG). Ist in einem Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen worden, dürfen die Ermittlungen wegen derselben Tat zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Das Absehen von der Verfolgung führt nicht zu einem sog. Strafklageverbrauch. Anders ist die Rechtslage nur in den Fällen des Absehens von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 3 JGG. Durch die Verweisung in § 45 Abs. 3 Satz 4 JGG auf § 47 Abs. 3 JGG tritt in diesen Fällen ein sog. beschränkter Strafklageverbrauch ein, d. h. die Ermittlungen können wegen derselben Tat nur aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden.

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