Rz. 13
Abs. 3 normiert Ausnahmen von dem Grundsatz der vorrangigen Datenerhebung bei dem Betroffenen. Die Fremderhebung von Sozialdaten durch ein Jugendamt ist nur unter den dort genannten Voraussetzungen möglich, soweit nicht die Sonderregelung in § 68 eingreift (Hess. VGH, Urteil v. 16.9.2014, 10 A 500/13 Rz. 26)
2.4.1 Gesetzliche Ermächtigung nach Nr. 1
Rz. 14
Die Erhebung von Sozialdaten ohne Mitwirkung des Betroffenen ist nach Abs. 3 Nr. 1 dann zulässig, wenn eine gesetzliche Bestimmung dies vorschreibt oder erlaubt. Es muss sich um Bestimmungen mit Gesetzesrang handeln. Satzungsbestimmungen, sonstiges autonomes Recht und allgemeine Verwaltungsvorschriften genügen nicht. Der Gesetzesbegriff ist hier in einem materiell-rechtlichen Sinne zu verstehen (Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB, 01/2020, Werkstand: 2023, § 62 SGB VIII, Rz. 8). Da der Sozialdatenschutz im SGB abschließend geregelt ist, kommt ein Rückgriff auf das Bundesdatenschutzgesetz oder die Landesdatenschutzgesetze nicht in Betracht.
2.4.2 Unmöglichkeit nach Nr. 2
Rz. 15
Nach Abs. 3 Nr. 2 ist die Datenerhebung ohne Mitwirkung des Betroffenen weiterhin dann zulässig, wenn
- ihre Erhebung beim Betroffenen nicht möglich ist oder
- die jeweilige Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen erfordert, die Kenntnis der Daten aber im Hinblick auf die unter Abs. 3 Nr. 2a bis d genannten Tatbestände erforderlich ist.
Rz. 16
Die Ausnahmetatbestände der Buchst. a) bis d) stehen dabei alternativ nebeneinander – das ergibt sich zwanglos aus dem Wort "oder". oder.
2.4.2.1 Unmöglichkeit der Datenerhebung
Rz. 17
Unmöglich kann die Datenerhebung bei dem Betroffenen in subjektiver oder objektiver Hinsicht sein. Beispielsweise ist die Erhebung unmöglich, wenn der Betroffene nicht erreichbar ist, er unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder Angaben gänzlich verweigert. Beispiel für die zweite Variante des Abs. 3 Nr. 2, die auf die Art der Aufgabe abstellt, ist die Auskunft einer Fachkraft bei erzieherischen Leistungen (Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB, 01/2020, Werkstand: 2023, § 62 SGB VIII, Rz. 9).
Rz. 18
Wird z. B. der Zugang zur Wohnung verweigert, kommt nach Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d abweichend vom Grundsatz der Ersterhebung von Daten bei den betroffenen Personen eine Datenerhebung bei Dritten in Betracht (DIJuF-Rechtsgutachten v. 4.6.2020, SN_2020_0510 Ho, JAmt 2020 S. 382).
2.4.2.2 Leistungsanspruch nach Buchst. a
Rz. 19
Nach Abs. 3 Nr. 2a können auch ohne Mitwirkung der betroffenen Person Sozialdaten nur erhoben werden, wenn dies für die Zuerkennung eines Leistungsanspruchs nach dem SGB VIII notwendig ist. Das ist aus der jeweiligen Anspruchsnorm heraus zu beantworten.
Rz. 20
So sind die Fachkräfte des Allgemeinen sozialen Diensts zur Feststellung der Voraussetzungen für eine Leistung – aber auch zur Erfüllung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 62 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d – befugt, die Staatsanwaltschaft um die Übermittlung der Ergebnisse ihrer Ermittlungen im Hinblick auf das Verhalten der Mutter gegenüber ihrem Kind auch ohne deren Einwilligung zu ersuchen (DIJuF-Rechtsgutachten v. 20.12.2019, SN_2019_1190 Gö, JAmt 2020 S. 89).
2.4.2.3 Erstattungsanspruch i. S. d. § 50 SGB X nach Buchst. b
Rz. 21
Soweit das Jugendamt einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X durchsetzen will, ist das Jugendamt ebenfalls befugt, Daten zu erheben. Dabei werden die dem Erstattungsanspruch vorausgehenden Daten ebenfalls erfasst. Sind daher Daten für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 50 Abs. 1 SGB X i. V. m. §§ 45, 48 SGB X notwendig, gibt Buchst. b auch hierzu einen hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Erhebung der Sozialdaten.
2.4.2.4 Schutz von Kindern und Jugendlichen und JGG-Verfahren nach Buchst. c
Rz. 22
Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c dürfen auch Sozialdaten erhoben werden, sofern diese vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen betreffen (§§ 42 bis 42f – vgl. Erster Abschnitt im Dritten Kapitel – Andere Aufgaben der Jugendhilfe) bzw. sofern dies dem Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen dient ((§§ 43 bis 48a – vgl. Zweiter Abschnitt im Dritten Kapitel – Andere Aufgaben der Jugendhilfe).
Rz. 23
Erfasst sind weiterhin Daten zur Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz nach § 52. Die Kenntnis der Daten muss für die Wahrnehmung einer Aufgabe nach § 52 erforderlich sein. Dies bedeutet konkret, dass die Kenntnis von den Daten erforderlich sein muss, um den jungen Menschen gemäß der im SGB VIII vorgegebenen sozialpädagogischen und rechtlichen Aspekte im Strafverfahren zu begleiten. Eine Erforderlichkeit kann z. B. bestehen, wenn eine geeignete Unterstützung des jungen Menschen die Schaffung eines Gesamtbildes voraussetzt. Ob Daten erhoben werden dürfen, darf keinesfalls schematisch, sondern muss für jeden Einzelfall geprüft werden (so ausdrücklich die gesetzgeberischen Erwägungen zu der geänderten Vorschrift des § 52, vgl. BR-Drs. 5/21 S. 106 = BT-Drs. 19/26107 S. 106; vgl. im Übrigen auch die Komm. zu § 52).
Rz. 24
Steht die Verlängerung der Genehmigung zur Kindertagespflege im Raum und bestehen beim Antragsteller bzw. in dessen häuslichem Umfeld keine Anhaltspunkte, dass eine Gefährdung des Kindeswohls im Rahmen der Tagespflege eintreten könnte, ist der Abruf sämtlicher bei der Polizei ...