2.2.1 Antrag nach Satz 1
Rz. 14
Wenn innerhalb von 6 Wochen nach der ersten schriftlichen Aufforderung zu Vertragsverhandlungen eine Vereinbarung nach § 78b Abs. 1 nicht zustande kommt, entscheidet auf Antrag einer Partei die Schiedsstelle. Die 6-Wochen-Frist berechnet sich von dem Tag an, an dem die schriftliche Aufforderung einer Partei der anderen Partei zugegangen ist. Eine vor Ablauf dieser Frist erfolgte Anrufung der Schiedsstelle ist grundsätzlich unbeachtlich. Da die Schiedsstelle nicht generell die Verhandlungen der Parteien ersetzen soll, sondern lediglich die ungeklärten Einzelheiten, die von der antragstellenden Partei im Einzelnen vorzutragen sind, zu entscheiden hat, muss die antragstellende Seite ihre Vorstellungen zum Vereinbarungsinhalt substantiiert in allen Einzelheiten so darlegen, dass ein wirksamer Vertrag mit einem gedachten Einverständnis der anderen Seite unmittelbar abgeschlossen wäre. Ausnahmsweise kann eine Anrufung der Schiedsstelle vor Ablauf der 6-Wochen-Frist auch dann wirksam erfolgen, wenn die andere Vertragspartei eindeutig erklärt hat, dass sie nicht bereit ist, in Verhandlungen einzutreten. Die 6-Wochen-Frist ist lediglich der frühestmögliche Zeitpunkt für die Anrufung der Schiedsstelle; ihre Anrufung kann auch erst später erfolgen, insbesondere dann, wenn sich die Parteien noch in aussichtsreichen Vertragsverhandlungen befinden. Gegebenenfalls muss die Schiedsstelle das Verfahren vorläufig aussetzen und den Parteien die Auflage erteilen, in echte Vertragsverhandlungen einzutreten.
2.2.2 Beschleunigungsgrundsatz nach Satz 1
Rz. 15
Die Schiedsstelle muss unverzüglich entscheiden (Abs. 2 Satz 1), d. h. ohne schuldhaftes Zögern. Daraus ergibt sich, dass der Verfahrensablauf möglichst einfach zu gestalten ist und nicht durch unnötige Formalitäten behindert werden darf. Das Beschleunigungsgebot, das die Schiedsstellen – anders als die Gerichte – trifft (vgl. auch bei Gottlieb, ZKJ 2017 S. 266, 267), schließt aber nicht aus, dass die Schiedsstelle das Verfahren vorhergehend (mit zeitlicher Beschränkung) aussetzt, um den Parteien zur Fortsetzung bzw. Vertiefung ihrer Verhandlungen Gelegenheit zu geben (vgl. Schellhorn, ZfF 1999 S. 126). Wenn die Schiedsstelle das Verfahren zu weiteren Verhandlungen zwischen den Parteien aussetzt und die Parteien dabei zu einer Einigung kommen, sollte auf übereinstimmenden Antrag der Parteien zur Verhinderung von Nachteilen durch die gezeigte Verhandlungsbereitschaft die Schiedsstelle ihrerseits bereit sein, die Lücke zwischen dem Zeitraum der Antragstellung und dem Datum der späteren Einigung durch einen entsprechenden Beschluss – z. B. durch Festlegung vorläufiger Abschlagszahlungen – zu überbrücken (ähnlich Schellhorn, SGB VIII, § 78g Rz. 14; vgl. zur Wirkung vorläufiger Abschlagszahlungen Bay OVG, Beschluss v. 23.3.2005, 12 B 01.1916; VG Hannover, Beschluss v. 17.2.2003, 7 B 489/03).
2.2.3 Beweiserhebung durch die Schiedsstelle nach Satz 1
Rz. 16
Die vom Gesetzgeber gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 gewünschte Verfahrensbeschleunigung schließt eine eigene Beweiserhebung der Schiedsstelle jenseits präsenter Beweise grundsätzlich aus, wenn dadurch der Abschluss des Verfahrens erheblich verzögert wird. Es ist zunächst Aufgabe der Verhandlungspartner, die zum Vergleich heranzuziehenden Einrichtungen zu benennen und die maßgebenden Kriterien darzulegen. Kommen sie dem nicht nach, kann es nicht Aufgabe der Schiedsstelle sein, Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen. Sie hat dann eine Entscheidung unter freier Würdigung des Angebots des Einrichtungsträgers zu treffen, wobei durchaus auch eine Fortschreibung der bisherigen Pflegesätze unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostenentwicklung in Betracht kommen kann. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Beteiligten geltend machen, dass etwa wegen einer Ausrichtung auf besondere Klientengruppen (z. B. ehemalige Drogenabhängige) eine Vergleichbarkeit mit anderen Einrichtungen nicht gegeben bzw. dieser Umstand kostenerhöhend zu berücksichtigen sei. Als Folge davon kann sich unter Umständen auch die Notwendigkeit ergeben, zur Ermittlung des angemessenen Entgelts von der Regel des externen Vergleichs abzuweichen und eine interne bzw. sog. vertikale Vergleichsprüfung anhand von Zahlenwerten der betreffenden Einrichtung aus Vorjahresräumen durchzuführen. Notfalls können dann – nach Abwägung des hiermit verbundenen Eingriffs – im Einzelfall auch interne Betriebsdaten zu fordern sein.
Rz. 17
Die Schiedsstelle nach § 78g muss nicht jeden plausiblen und fundierten Vortrag eines Beteiligten von sich aus in Zweifel ziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.5.2011, 12 A 149/10).
2.2.4 Rechtliches Gehör nach Satz 1
Rz. 18
Im Schiedsverfahren gilt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, eines Verfahrensgrundrechts (vgl. § 24 SGB X). Die Schiedsstelle hat die zum Vergleich herangezogenen Einrichtungen rechtzeitig zu benennen, sodass den Beteiligten die Möglichkeit gegeben wird, deren Vergleichbarkeit zu überprüfen. Denn erst nach einer solchen Benennung und näheren Beschreibung werden sie in die Lage versetzt, geltend zu machen, dass etwa – ähnlich wie im Kassenarztrecht bei Praxis...