0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 78g ist derzeit i. d. F. der Bekanntmachung der Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022) seit dem 1.1.2012 in Kraft.
§ 78g wurde durch das 2. SGB XI-ÄndG v. 29.5.1998 (BGBl. I S. 1188) mit Wirkung zum 1.1.1999 eingefügt (eingefügt erst durch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss), vgl. BT-Drs. 13/10330 S. 6 f., 18f.).
1 Allgemeines
Rz. 2
Nach dem Vorbild des § 94 BSHG, der seinerseits auf Erfahrungen des Gesetzgebers mit der Schiedsstelle in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aufbaut (vgl. bereits § 368h RVO), wurde für die Schlichtung von Streitfällen beim Abschluss von Vereinbarungen nach § 78a Abs. 1 die Einrichtung einer Schiedsstelle vorgesehen (vgl. auch Gesetzesmotive in BT-Drs. 13/10330 S. 18 f.). Dabei geht das SGB VIII insofern weiter, als auch die Vereinbarungen über die Qualitätsentwicklung und die Prüfungen schiedsstellenfähig sind. Die Bedeutung der Regelung liegt weniger in der Zahl der tatsächlich durchgeführten Schiedsstellenverfahren, die relativ gering ist und die nach Ermittlungen des niedersächsischen Schiedsstellenvorsitzenden Prof. Dr. Gottlieb für 2001 und 2003 bei 41 bzw. bei 67 lag. Die entscheidende Funktion des § 78g besteht vielmehr in seiner verhandlungstaktischen Vorwirkung, die auch schwachen Verhandlungspartnern im Rahmen des § 78b und § 78c ein so wirksames, schnelles und sachnahes Durchsetzungsmittel gegen etwaige marktmächtige Übervorteilungen an die Hand gibt, dass es im Regelfall gar nicht zu einer solchen Übervorteilung kommt.
Rz. 3
In seiner Funktion ist die Schiedsstelle ein Vertragshilfeorgan (Gottlieb, ZKJ 2017 S. 266, 267).
Rz. 4
Das Sozialrecht kennt auch in anderen Sozialgesetzbüchern die Einrichtung von Schiedsstellen, so z. B. im Sozialhilferecht nach § 81 SGB XII. Die Regelungen beinhalten teilweise gleichgelagerte Regelungen. In diesem Falle kann auch auf die Rechtsprechung und Literatur zu den einschlägigen Regelungen zurückgegriffen werden (für die sozialhilferechtlichen Regelungen vgl. stellv. BSG, Urteil v. 7.10.2015, B 8 SO 1/14 R, mit Anm. von Gottlieb, SGb 2017 S. 104).
2 Rechtspraxis
2.1 Schiedsstelle nach Abs. 1
2.1.1 Rechtsnatur der Schiedsstelle und des Schiedsspruchs nach Satz 1
Rz. 5
In den Ländern sind Schiedsstellen für Streit- und Konfliktfälle einzurichten. Die schlichtende Rolle der Schiedsstelle weist zwar Parallelen zur richterlichen Funktion auf. Denn der Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der paritätischen Zusammensetzung will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung gegenläufiger Interessen und zu einer Entscheidungsfindung nutzen, die nicht immer die einzig sachlich vertretbare ist und häufig Kompromisscharakter aufweist (vgl. zur Schiedsstelle des SGB XI BSG, Urteil v. 14.12.2000, B 3 P 19/00 R). Dennoch ist die Schiedsstelle keine Gerichtsinstanz, sondern übt als Behörde Verwaltungstätigkeit aus. Denn es handelt sich bei der Entscheidung einer Schiedsstelle um einen vertragsgestaltenden Verwaltungsakt i. S. d. § 31 Satz 1 SGB X (BSG, a. a. O.; BVerwG, Urteil v. 1.12.1998, 5 C 17/97; BVerwG, Beschluss v. 28.2.2002, 5 C 25/01; BVerwG, Urteil v. 4.8.2005, 5 C 1305; mit der weiterhin höchst strittigen Einordnung der Rechtsnatur der Entscheidung der Schiedsstelle setzt sich eingehend auseinander Gottlieb, ZKJ 2017 S. 266, 268). Der gesetzlichen Regelung in § 78g Abs. 2 Satz 4, wonach ein Vorverfahren nicht stattfindet, liegt erkennbar diese Vorstellung zugrunde. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klage nach § 78a Abs. 2 Satz 2 unmittelbar gegen die andere Vertragspartei zu richten ist (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage in der Sozialhilfe BVerwG, Beschluss v. 28.2.2002, 5 C 25/01).
2.1.2 Zusammensetzung der Schiedsstelle nach Satz 2
Rz. 6
Die Bildung der Schiedsstelle auf Landesebene erfolgt durch Rechtsverordnung der Landesregierung (Abs. 4). Die Schiedsstelle ist nach Abs. 1 Satz 2 mit einem unparteiischen Vorsitzenden, im Übrigen paritätisch mit Vertretern der öffentlichen Jugendhilfe sowie Vertretern der Einrichtungen zu besetzen.
Rz. 7
Sinn der paritätischen Besetzung der Schiedsstellen nach § 78g Abs. 1 Satz 2 ist es, die Interessen der Kostenträger und die Interessen der Träger von Einrichtungen gleichgewichtig zu vertreten. Im Hinblick darauf, dass – örtlich und regional unterschiedliche – Einrichtungen auch von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe selbst bzw. von kreisangehörigen Gemeinden betrieben werden, ist durch organisatorische und personelle Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass deren Vertreter nicht Interessenkollisionen ausgesetzt werden und damit die vom Gesetzgeber gewollte Parität in der Schiedsstelle unterlaufen wird (BT-Drs. 13/10330 S. 19).
Rz. 8
Der unparteiische Vorsitzende darf weder bei einem Jugendhilfeträger angestellt noch Angestellter oder Organmitglied eines Einrichtungsträgers sein. Zur Wahrung der rechtsförmigen Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör) und wegen des Erfordernisses einer gerichtsüberprüfbaren Begründung des Schiedsspruc...