0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Bereits das frühere Recht (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 18 Satz 3 JWG) sah eine Verantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung der sich aus dem Gesetz ergebenden Aufgaben vor. § 79 gilt in der Fassung des Art. 1 KJHG v. 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163). Durch die Einfügung eines neuen Dritten Abschnitts "Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung" (§§ 78a bis 78g) durch Art. 2 Nr. 4 des 2. SGB XI-ÄndG v. 29.5.1998 (BGBl. I S. 1188) wurde die Neunummerierung des bisherigen Abschnittes in "Vierter Abschnitt" erforderlich (Art. 2 Nr. 5 2. SGB XI-ÄndG). Art. 2 Nr. 20 des BKiSchG v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 2975, 2980) fasst § 79 Abs. 2 neu: Die bisherige Regelung des Abs. 2 wird zu Nr. 1 und in Nr. 2 wird die Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung nach § 79a als weitere Aufgabe aufgenommen.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 79 regelt den Verantwortungsbereich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Diese Norm ist eine Fundamentalnorm, dient der Qualitätssicherung und begründet eine jugendhilferechtliche Garantenstellung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe (so Kunkel, LPK-SGB VIII, § 79 Rz. 3 und Wiesner, SGB VIII § 79, Rz. 1). Sie soll den Vollzug des Gesetzes sicherstellen und ist wie ihre Vorläuferbestimmung § 5 Abs. 1 und 3 JWG verfassungsgemäß (grundlegend dazu BVerfG, Urteil v. 18.7.1967, 2 BvF 3, 4, 5, 6, 7, 8/62, 2 BvR 139, 140, 334, 335/62). Das zur konkurrierenden Gesetzgebung gehörende Recht der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) umfasst nicht nur die Bestimmung dessen, was an materiellen Fürsorgeleistungen von den dazu verpflichteten öffentlichen Trägern zu erbringen ist, sondern auch organisatorische Bestimmungen und Abgrenzungen (BVerfG, a. a. O.). Auch die bundesrechtliche Verpflichtung an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, für eine ausreichende Ausstattung – u. a. auch von Fachkräften – der Jugendämter und der Landesjugendämter zu sorgen (Abs. 3), greift in unzulässiger Weise weder in die Verwaltungshoheit der Länder nach Art. 30, 83 und 84 Abs. 1 GG noch in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ein, da sie sachbezogen und für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzuges notwendig ist (BVerfG, a. a. O.).
2 Rechtspraxis
2.1 Gesamtverantwortung, Planungsverantwortung
Rz. 3
Nach Abs. 1 haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, d. h. die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger (§ 69 Abs. 1 Satz 2) sowie die nach Landesrecht bestimmten überörtlichen Träger (§ 69 Abs. 1 Satz 3), für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. Das BVerfG (Urteil v. 21.11.2017, 2 BvR 2177/16) bezeichnet die Planungsverantwortung als ein in die Zukunft gerichteter Gestaltungsprozess (vgl. dazu Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 79 Rz. 5) und als einen nicht trennbaren und wesentlichen Bestandteil der Gesamtverantwortung in § 79 Abs. 1 (dazu Hilke, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 12/2014, § 79 Rz. 10). Erst auf der Grundlage einer Planung könne festgestellt werden, ob Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen ausreichen und geeignet sind. Der Teilbereich der Gesamtverantwortung, der nicht in den Bereich der Planungsverantwortung fällt, wird im nachfolgenden Abs. 2, der Teilbereich Planung der Einrichtungen und Dienste wird in § 80 näher konkretisiert. Die Gesamtverantwortung umfasst alle Gebiete der Jugendhilfe und schließt sowohl die Aufgabenzuweisungen als auch die materiellen Leistungen sowie das Bereithalten der entsprechenden Infrastruktur ein. Während das Gesetz auf der einen Seite nicht verlangt, dass die öffentlichen Träger für die Erbringung sämtlicher Angebote die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen selbst zu erbringen bzw. vorzuhalten haben, entbindet die Beteiligung freier Träger im Rahmen der Jugendhilfe die öffentlichen Träger (vgl. §§ 3 f.) andererseits nicht von ihrer Verpflichtung, für ein qualitativ und quantitativ gebotenes Netz an Angeboten zu sorgen. § 79 sowie das SGB VIII insgesamt gehen vielmehr davon aus, dass die Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe partnerschaftlich zusammenarbeiten. Im Übrigen werden die Träger der freien Jugendhilfe durch die Vorschrift nicht berührt, da deren Tätigkeit vom Gesetz überhaupt nicht geregelt wird und sie in der Gestaltung ihrer Arbeit völlig frei sind (BVerfG, Urteil v. 18.7.1967, 2 BvF 3, 4, 5, 6, 7, 8/62, 2 BvR 139, 140, 334, 335/62).
Rz. 4
Aus der Tatsache, dass die Verpflichtungen des Vierten Abschnitts im öffentlichen Interesse bestehen und sich an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe richten, folgt, dass § 79 keine einklagbaren Individualrechte eines Dritten begründet. Eine Verletzung der Verpflichtungen aus § 79 durch einen örtlichen öffentlichen Träger kann daher nur im Wege der kommunalen Rechtsaufsicht gerügt werden. Einklagbare Ansprüche eines Trägers der freien Jugendhilfe auf Förderung bestehen ausschließlich nach Maßgabe von § 74.
Zu den möglichen Auswirkungen des europäi...