Rz. 12
Abs. 3 in der durch das BKiSchG geänderten Fassung normiert einen Rechtsanspruch auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten für Kinder und Jugendliche. Der Gesetzgeber will an die Diskussion am Runden Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" und an die Vorgaben aus Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention (vgl. Haufe – Rechtslupe Stichwort: "UN-Kinderrechtekonvention ohne Vorbehalte") anknüpfen (BT-Drs. 17/6256 S. 35). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Rechtsanspruch sind gleich geblieben. Dahinter steht auf verfassungsrechtlicher Ebene eine Abwägung des aus Art. 6 GG folgenden Elternrechts und des Kindesrechts. Das BVerfG (Urteil v. 9.2.1982, 1 BvR 845/79) hat dazu ausgeführt, das Verhältnis des Elternrechts zum Kindesrecht werde durch die besondere Struktur des Elternrechts geprägt. Dieses sei wesentlich ein Recht im Interesse des Kindes, wie sich schon aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergebe, der vom Recht zur Pflege und Erziehung spreche und so schon per definitionem das Kindesinteresse in das Elternrecht einfüge. Dem entspreche es, dass mit abnehmender Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes die im Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse zurückgedrängt würden, bis sie schließlich mit der Volljährigkeit des Kindes erlöschen. Abgestufte partielle Mündigkeitsregelungen, die an diesen Bezugspunkten ausgerichtet und sachlich begründet seien, stellten daher keine Eingriffe in das Elternrecht dar.
Rz. 13
Mit der Änderung von Abs. 3 Satz 1 durch das KJSG (vgl. Rz. 1a) ist die Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten nicht mehr an die Voraussetzung des Vorliegens einer Not- und Konfliktlage gebunden. Dies entspricht einer Empfehlung der Arbeitsgruppe "Kinder psychisch und suchterkrankter Eltern", die auf der Grundlage des Bundestagsbeschlusses "Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern" v. 22.6.2017 (BT-Drs. 18/12780) eingerichtet wurde. Diese Arbeitsgruppe empfahl, einen bedingungslosen elternunabhängigen Anspruch auf Beratung durch die Kinder- und Jugendhilfe zu etablieren. Damit sollte der Beratungszugang erweitert, die Rechte der Kinder und Jugendlichen gestärkt und Hürden abgebaut werden. Die Personensorgeberechtigten sollen im Nachgang informiert werden, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Alle in § 36 geregelten Maßnahmen, die ggf. anschließend erfolgen, bleiben gemäß Abs. 3 Satz 2 unberührt. Die Elternrechte werden nach Auffassung des Gesetzgebers nicht berührt (BT-Drs. 19/26107 S. 73). Abs. 3 Satz 3 erweitert den Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf Beratung, der nun auch durch Träger der freien Jugendhilfe erfüllt werden kann, um eine niedrigschwellige Inanspruchnahme der Beratung nach Maßgabe von § 36a Abs. 2 Satz 1 bis 3 zu ermöglichen. Dazu sollen Vereinbarungen zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe geschlossen werden.
Rz. 14
Der mit dem KJSG angefügte Abs. 4 soll der Subjektstellung und Partizipation von Kindern und Jugendlichen Rechnung tragen. In welcher Form die Beteiligung und Beratung stattfindet, soll dem Einzelfall überlassen bleiben. Eine allgemein verbindliche Vorgabe ist nicht möglich. In Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung trägt die Regelung auch Art. 21 der VN-Behindertenrechtskonvention Rechnung. Sie erfasst auch die sog. "leichte Sprache" und entspricht dem Votum der Arbeitsgruppe "SGB VIII: Mitreden-Mitgestalten" (BT-Drs. 19/26107 S. 74).