2.1 Bestands- und Bedarfsermittlung
Rz. 4
Jeder sachgerechten Planung muss eine exakte Ermittlung des Bestandes an Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe vorausgehen (Abs. 1 Nr. 1). Nur aus einer solchen Ermittlung der vorhandenen Infrastruktur ist eine Ableitung des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs möglich (Abs. 1 Nr. 2). Sowohl die Bestandsermittlung als auch die konkrete Bedarfsableitung sind kein statischer, sondern ein fortwährender Prozess, der ständigen Veränderungen unterworfen ist, die sich u. a. aus gewandelten gesellschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen, aber auch wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen ergeben können.
Rz. 5
Das Gesetz nennt Maßgaben für den Inhalt und die zeitliche Dauer der Bedarfsermittlung: In ihr sind die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten einzubeziehen. Die Bedarfsermittlung – bezogen auf den Zuständigkeitsbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe – hat somit zielgruppenorientiert zu erfolgen. Mit dieser Maßgabe wird dem gesetzlich verankerten Wunsch- und Wahlrecht (§ 5) Rechnung getragen. Ferner hat die Bedarfsermittlung für einen mittelfristigen Zeitraum zu erfolgen. Eine Vorgabe in Jahren macht das Gesetz nicht, in Anlehnung an die mittelfristige Finanzplanung ist von einem Zeitraum von vier Jahren auszugehen. Dies hat zudem den Vorteil, die Jugendhilfeplanung mit den finanziellen Ressourcen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe abzustimmen (vgl. § 71 Abs. 3 Satz 1 "Er [der Jugendhilfeausschuss] hat Beschlussrecht in Angelegenheiten der Jugendhilfe im Rahmen der von der Vertretungskörperschaft bereitgestellten Mittel, …").
Rz. 6
Aus dem Vergleich der Bestands- mit der Bedarfsermittlung sind als dritter Schritt die konkreten Einzelvorhaben, die sich aus der Analyse ergeben haben, rechtzeitig und ausreichend zu planen (Abs. 1 Nr. 3). Da eine sofortige Umsetzung der Planung in den allermeisten Fällen an den finanziellen Möglichkeiten des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe scheitern wird, ist – ausgehend von den Zielsetzungen der Jugendhilfe und der als dringend festgestellten Bedarfe – eine Prioritätensetzung vorzunehmen. Dabei ist ausdrücklich auch Vorsorge für einen unvorhergesehenen Bedarf zu treffen. Mit dieser Regelung soll dem Träger die Möglichkeit eröffnet werden, auch auf unvorhersehbare Entwicklungen und Ereignisse angemessen zu reagieren. Gleichwohl besteht hinsichtlich dieser im Gesetz normierten Verpflichtung insofern ein Zielkonflikt, als eine kontinuierliche Planung, die abschätzbare künftige Entwicklungen, insbesondere der demographischen Entwicklung, berücksichtigen muss, nur begrenzt unvorhersehbare Einflüsse aufnehmen kann. Ggf. muss der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in einem solchen Fall seine bestehenden Planungen kurzfristig ergänzen.
2.2 Inhaltliche Anforderungen an die Planung
Rz. 7
Ausgehend von den Zielen der Jugendhilfe (§ 1 Abs. 3),
- junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, einen Beitrag zur Vermeidung oder zum Abbau von Benachteiligungen zu leisten,
- Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung zu unterstützen,
- Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen und
- einen Beitrag zu leisten zu positiven Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie zum Erhalt oder zur Schaffung einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt
konkretisiert Abs. 2 diese Ziele in den Anforderungen für die Planung für Einrichtungen und Dienste. Sie sollen so geplant werden, dass
- Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können (Nr. 1),
- ein möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist (Nr. 2),
- junge Menschen und Familien in besonders gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden (Nr. 3) und
- Mütter und Väter Aufgaben in der Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können.
Ziel muss daher eine weitgehend standortnahe, eine Pluralität der Angebote widerspiegelnde, potenzielle soziale Brennpunkte berücksichtigende und die Bedingungen des lokalen Arbeits- und Wirtschaftslebens aufnehmende Planung aller Einrichtungen und Dienste sein. Die Planung hat sich daher nicht nur an der quantitativen Deckung des notwendigen Bedarfs zu orientieren, sondern sie hat auch die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten zu ermitteln (so für den Bereich der Kindergartenplanung Niedersächsisches OVG, Urteil v. 7.2.2006, 4 LB 389/02).
2.3 Auswirkungen der Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Rz. 7a
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Gesetz v. 21.12.2008 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (VN-BRK) in innerstaatliches Recht transformiert. Die VN-BRK ist seit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bei den Vereinten Nationen seit dem 26.3.2009 für Deutschland verbindlich. Aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes obliegt die Umsetzung der Bestimmungen der VN-BRK Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam für ihren jeweiligen Zustän...