Rz. 9
Unter einem Unternehmen i. S. d. Art. 81 bis 86 EGV ist nach dem herrschenden funktionalen Unternehmensbegriff (EuGH, Urteil v. 22.1.2002, C-218/00) unabhängig von der gewählten Rechtsform jede natürliche und juristische Person zu verstehen, die einer selbständigen, auf den Austausch von Waren oder Dienstleistungen gerichteten, erlaubten erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit dauerhaft nachgeht, wobei die wirtschaftliche Leistung gegen Entgelt erbracht wird. Wie Art. 16 EGV nunmehr klarstellt, kommt es dabei für die Unternehmenseigenschaft (auch) öffentlicher Dienste i. S. d. Daseinsvorsorge ebenso wenig auf einen Gewinnerzielungszweck im engeren Sinne an wie auf die Art der Finanzierung, so dass auch weitergehende ideelle Ziele nicht geeignet sind, die Unternehmereigenschaft der Träger der Jugendhilfe auszuschließen (ebenso Eichenhofer, SDSRV Nr. 43 S. 105, 115 f.; Luthe, NDV 2001 S. 247 f.; Münder/von Boetticher, ZESAR 2004 S. 15, 20 f.; Kunkel, in: LPK-SGB VIII, § 74 Rz. 53).
Rz. 10
Dementsprechend hat der EuGH auch die Leistungserbringung im Rahmen der öffentlichen Wohlfahrtspflege bzw. der sog. Économie Sociale an europarechtlichen Vorgaben gemessen (EuGH, Urteil v. 17.6.1997, C-70/95; EuGH, Urteil v. 12.7.2001, C-157/99; EuGH, Urteil v. 12.9.2000, C-180/98). Von der danach unter engen Voraussetzungen gegebenen Möglichkeit einer Bedarfsplanung hat der deutsche (Bundes-)Gesetzgeber für die Jugendhilfe im SGB VIII indes nicht mehr umfassend Gebrauch gemacht (so im Ergebnis auch Bieback, NZS 2001 S. 561, 568, und die in Rz. 5 angegebene Literatur). Die Sicherstellung einer ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgung hat sich der Gesetzgeber auch im SGB VIII vielmehr in erster Linie von einem funktionierenden Wettbewerb unter den Einrichtungsträgern erwartet (BT-Drs. 11/10030/1998). Die staatlichen Eingriffe in das Leistungsgeschehen beschränken sich im Wesentlichen auf die Wahrung der für notwendig erachteten Qualitätsstandards gemäß §§ 78a f. (vgl. hierzu die Komm. dort). Für die Rechtfertigung von Eingriffen in den einmal eröffneten freien Wettbewerb der Anbieter von Jugendhilfeleistungen durch Landesrecht gibt die o. g. Rechtsprechung des EuGH mithin nichts her. Für einmal eröffnete Märkte sozialer Dienstleistungen – und damit auch für das SGB VIII – gelten die allgemeinen Kriterien der Art. 81 f. EGV. Auch das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EGV sowie die Bereichsausnahme des Art. 86 und der Schutz des kulturellen Erbes gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV rechtfertigen hiervon keine Ausnahme. Die Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen Marktfreiheiten einerseits und regionaler (Landes-)Planung andererseits ist vielmehr im Wege der praktischen Konkordanz bei weitestmöglichem Verzicht auf bedarfssteuernde Eingriffe zu suchen (näher hierzu am Beispiel des SGB XI v. Renesse, VSSR 2001 S. 359 m. w. N.). Auch hinsichtlich der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit sowie des Diskriminierungsverbots nach Art. 3 Abs. 1c, Art. 49 ff., Art. 43 und Art. 12 EGV ergibt sich im Rahmen der Konzessionierung von Trägern nach Bedarfsplanungsgesichtspunkten Konfliktpotenzial. Denn die mitgliedsstaatliche (Landes-)Gesetzgebung darf nicht zu einer rechtlichen – oder auch nur faktischen – Ungleichbehandlung örtlicher gegenüber ortsfremden EU-Anbietern führen, weil dies die praktische Wirksamkeit der aktiven Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der EU-Anbieter verkürzen würde. Ebenso wenig darf die hiermit korrespondierende passive Dienstleistungsfreiheit der in Deutschland ansässigen Verbraucher durch die mitgliedsstaatliche Gesetzgebung beeinträchtigt werden.