Rz. 4
§ 85 Abs. 2 bestimmt die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers und weist ihm bestimmte Aufgaben und deren Erledigung zu. Er ist lex specialis gegenüber Abs. 1, da dem Regelungsinhalt des Abs. 2 folgend die Allzuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe durch enumerative Aufzählung bestimmter Aufgaben eingeschränkt wird. Dies bedeutet, dass nur die in Abs. 2 ausdrücklich und abschließend aufgezählten Aufgaben dem überörtlichen Träger zur Erledigung übertragen sind. Ansonsten, oder auch im Zweifelsfalle im Hinblick auf die Allzuständigkeitsvermutung, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Jugendhilfeträgers. Die Zuteilung bestimmter Aufgaben auf den überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe basiert auf sachlichen Erwägungen, da die Aufgabenerledigung teilweise – allein schon aus praktischen Gründen – nur überörtlich erfolgen kann. Dem überörtlichen Träger kommen insbesondere überregionale Beratungs-, Planungs-, Empfehlungs-, Koordinierungs- sowie Ergänzungsfunktionen zu. Dadurch wird er zum fachlichen Kooperationspartner der örtlichen Träger. Dem Sinn und Zweck einer "Partnerschaft" entsprechend steht ihm deshalb auch keine Weisungsbefugnis gegenüber dem örtlichen Träger zu, da die Kommunalaufsicht im Allgemeinen bei anderen Behörden angesiedelt ist.
2.2.1 Beratung und Entwicklung von Empfehlungen (Nr. 1)
Rz. 5
§ 85 Abs. 2 Nr. 1 knüpft im Wesentlichen an die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 JWG an, wobei die im JWG verwendete Formulierung "Aufstellung gemeinsamer Richtlinien" durch "Entwicklung von Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben" ersetzt worden ist; nicht zuletzt deshalb, weil die Aufgaben des örtlichen Trägers in eigener Verantwortung, sprich im Zuge der kommunalen Selbstverwaltung, wahrgenommen werden. Demzufolge stünden verbindlich vorgegebene Richtlinien in Ausübung einer eigenen überörtlichen Richtlinienkompetenz der kommunalen Selbstverwaltung entgegen. Dem örtlichen Träger bleibt damit im Rahmen seiner eigenen Entscheidungskompetenz freigestellt, vom überörtlichen Träger entwickelte Empfehlungen ggf. in seinem Zuständigkeitsbereich für anwendbar zu erklären, was im Übrigen in der Praxis mitunter regelmäßig stattfindet.
2.2.2 Förderung der Zusammenarbeit zwischen örtlichen Trägern und anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe (Nr. 2)
Rz. 6
§ 85 Abs. 2 Nr. 2 weist dem überörtlichen Träger die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Trägern und den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe (zum Begriff des "anerkannten" Trägers der freien Jugendhilfe siehe auch die Erläuterungen zu § 75), insbesondere bei der Planung und Sicherstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige sowie der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche zu. Insoweit hat die Vorschrift ihren Ursprung u. a. in § 72 JWG, wonach der überörtliche Träger (das Landesjugendamt) zur Durchführung von Freiwilliger Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung dafür Sorge zu tragen hatte, die notwendige Differenzierung der Einrichtungen und Heime nach der zu leistenden Erziehungsaufgabe zu gewährleisten. Gerade in diesem Zusammenhang kommt dem überörtlichen Träger eine ganz besondere Vermittlungsfunktion gegenüber den Trägern der freien Jugendhilfe und den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zu, da die Träger der freien Jugendhilfe ihre pädagogischen Angebote vorwiegend den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit bei Hilfen zur Erziehung unterbreiten müssen. Um unter Umständen überregional auftretende "Versorgungsengpässe" rechtzeitig erkennen und dementsprechend in planerischer Hinsicht reagieren zu können, weil sich der Einzugsbereich eines Trägers der freien Jugendhilfe nicht unbedingt mit dem des örtlichen Trägers deckt, kommt einer überörtlichen Aufgabenerledigung insofern besondere Bedeutung zu.
2.2.3 Anregung und Förderung von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen etc. für den überregionalen Bedarf (Nr. 3)
Rz. 7
Nach § 85 Abs. 2 Nr. 3 ist der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe sachlich zuständig für die Anregung und Förderung von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen sowie deren Schaffung und Betrieb, soweit sie den örtlichen Bedarf übersteigen; dazu gehören insbesondere Einrichtungen, die eine Schul- oder Berufsausbildung anbieten, sowie Jugendbildungsstätten. Der Gesetzgeber weist damit dem überörtlichen Träger Aufgaben zu, die über den Einzugsbereich des örtlichen Trägers hinausgehen, weil sie aufgrund ihrer Spezialisierung als örtliche Angebote ggf. nicht ausgelastet wären. Dabei ist es mehr als konsequent, insbesondere die Einrichtungen im besonderen Maße hervorzuheben, die die Schul- oder Berufsausbildung integrieren und somit die erzieherische Hilfe für junge Menschen mit Maßnahmen der Schul- oder Berufsausbildung kombinieren. Die Regelung in Abs. 3 mit Hinweis darauf, dass diese Aufgaben auch vom örtlichen Träger wahrgenommen werden können, macht deutlich, dass derartige Angebote gerade in Ballungsgebieten sinnvoll genutzt werden können und in der Praxis auch genutzt werden.
2.2.4 Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe (Nr. 4)
Rz. 8
Für die Planung, Anregung, Förderung und Durchführung von Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Ju...