Rz. 52
§ 86 Abs. 6 Satz 1 normiert für den Eintritt der örtlichen Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers am g.A. der Pflegeperson 2 Voraussetzungen. Zum einen muss ein Kind oder Jugendlicher mindestens 2 Jahre bei ein und derselben Pflegeperson leben. Zum anderen ist es erforderlich, dass dieses Pflegeverhältnis auf Dauer ausgerichtet ist. Auf die Frage, um welche Hilfeart es sich dabei handelt, kommt es hingegen nicht an. Rechtsunerheblich und damit die Sonderzuständigkeit nicht beendend ist deshalb die Fallkonstellation, in der z. B. Elemente der Hilfe nach § 33 (Pflegefamilie) und der Hilfe nach § 34 (institutionelle Professionalisierung der Betreuung durch einen zwischen dem Jugendamt und der Erziehungsstelle angesiedelten freien Träger, Abrechnung nach Pflegesätzen) kombiniert sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.6.2005, 12 A 2677/02). Dem auf Dauer ausgerichteten Pflegeverhältnis kommt insofern besondere Bedeutung zu, als damit eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende hilfeplanmäßig sowie aktenkundig dokumentierte förderliche Lebensperspektive für das Kind oder den Jugendlichen unter Beteiligung aller in Betracht zu ziehenden Fachkräfte einschließlich des Personensorgeberechtigten sowie des Kindes oder Jugendlichen i. S. d. §§ 36 f. erarbeitet worden ist, sofern die Eltern bzw. der Personensorgeberechtigte die Erziehung des Kindes oder Jugendlichen nicht (mehr) sicherstellen können oder wollen.
Rz. 53
Im Falle eines Wechsels der Pflegeperson – beispielsweise aufgrund des Scheiterns des bisherigen Pflegeverhältnisses, aus welchen Gründen auch immer – beginnt die 2-Jahres-Frist von neuem zu laufen, bevor die örtliche Zuständigkeit nach Abs. 6 erneut eintreten kann. Gleiches gilt für den Fall, dass das Kind oder der Jugendliche nach dem Scheitern des bisherigen Pflegeverhältnisses zunächst zur Abklärung der weiteren Lebensperspektive – wenn auch nur kurzfristig – in einer Einrichtung untergebracht werden muss, z. B. in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Reguläre Krankenhausaufenthalte oder dergleichen sind damit allerdings nicht gemeint, da das Pflegeverhältnis hierdurch nicht beendet wird.
Rz. 54
Ob und inwieweit es sich tatsächlich um ein auf Dauer angelegtes Pflegeverhältnis handelt, ist im Rahmen einer rückwirkenden sowie vorausschauenden Betrachtung durch die beteiligten Fachkräfte zu prognostizieren. Bei der vom Gesetzgeber verwendeten Formulierung des "auf Dauer" angelegten Pflegeverhältnisses handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig ist und somit der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dabei ist ein schriftlicher Hilfeplan oder dessen Fortschreibung keine notwendige Voraussetzung, um diese Prognoseentscheidung treffen zu können (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 5.12.2001, 12 A 4215/00). Ein Verbleib auf Dauer bei der Pflegeperson ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller gegenwärtigen pädagogisch fachlichen Erkenntnisse von einer dauerhaften Betreuung und Versorgung des Kindes oder Jugendlichen im Haushalt ein und derselben Pflegeperson auszugehen ist, d. h., soweit eine Reintegration des Kindes oder Jugendlichen in den Haushalt seiner Herkunftsfamilie nicht (mehr) angestrebt wird und die Pflegeperson auch weiterhin bereit und geeignet ist, die Pflege des Kindes oder Jugendlichen auszuüben.
Rz. 54a
Als nicht geeignet und deshalb den Eintritt von Abs. 6 verneinend sieht z. B. der BayVGH solche Pflegepersonen an, die nicht mindestens eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung gewährleisten können. Art. 35 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) v. 8.12.2006 (GVBl S. 942) i. d. F. d. Gesetzes v. 20.7.2011 (GVBl S. 319) sei die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass die Pflegeperson über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen müsse, die dem Entwicklungsstand und den jeweiligen erzieherischen Bedürfnissen des Kindes bzw. Jugendlichen gerecht werden müsse. Das sei in dem zu entscheidenden Falle schon deshalb nicht gesichert, weil die Großmutter Analphabetin sei und nur bruchstückhaft Deutsch spreche. Sie könne deshalb ihre Enkel, unabhängig davon, dass sie versuche, diesen soweit möglich eine Familie zu ersetzen, in bestimmten wichtigen Lebensbereichen, insbesondere etwa in der Schule oder bei Behördenangelegenheiten, nicht angemessen unterstützen. Dem Hilfeplan des zuständigen Jugendamtes sei mitunter zu entnehmen, dass die Familie große Schwierigkeiten habe, ihr Geld einzuteilen und die Großmutter nicht in der Lage sei, ihr Geld selbstständig zu verwalten. Auch die Wohnverhältnisse seien dem Hilfeplan zufolge mehr als beengt gewesen; das damals etwa 11 Jahre alte Kind habe mit der Großmutter in einem Zimmer geschlafen (vgl. BayVGH, Beschluss v. 3.11.2011, 12 ZB 09.2775). Sollte sich im Laufe der Gewährung der Leistung, für die ein örtlicher Träger nach § 86 Abs. 6 örtlich zuständig ist, etwas ändern, z. B. weil das Pflegeve...