0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Zuständigkeitsregelung des § 86 b für Leistungsberechtigte nach § 19 wurde durch das 1. SGB VIII-ÄndG eingeführt und trat zum 1.4.1993 in Kraft. Leistungsberechtigter ist der Elternteil (Mutter oder Vater), der mit dem Kind oder den Kindern die Betreuung in einer sog. Mutter-/Vater-Kind-Einrichtung in Anspruch nimmt (vgl. hierzu Ausführungen zu § 19). § 86 b gilt seit dem 1.1.2012 i. d. F. der Bekanntmachung v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022).
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 86 b knüpft für Leistungen nach § 19 (gemeinsame Wohnform für Mütter/Väter und Kinder) zunächst an den gewöhnlichen Aufenthalt (g.A.) des nach § 19 Leistungsberechtigten (Mutter oder Vater) an, hilfsweise an den tatsächlichen Aufenthalt, soweit ein g.A. des anspruchsberechtigten Elternteils nicht vorhanden sein sollte. Im Wesentlichen entspricht die Systematik dieser Zuständigkeitsnorm der des § 86 a. Sie unterscheidet dabei nicht, ob es sich bei der/dem Leistungsberechtigten (Mutter oder Vater) um einen minderjährigen oder einen volljährigen Leistungsempfänger handelt. Auch bei minderjährigen Leistungsberechtigten ist auf den (eigenen) g.A. vor Leistungsbeginn abzustellen. Unter Umständen bis dahin unterschiedlich zu beurteilende Zuständigkeiten im Verhältnis des leistungsberechtigten Elternteils zu dem Kind bzw. den Kindern, weil beispielsweise der die Hilfe in Anspruch nehmende Elternteil vor Hilfebeginn einen von seinem Kind/seinen Kindern abweichenden g.A. begründet, werden durch § 86 b auf den g.A. des Leistungsberechtigten konzentriert, um "Mehrfachzuständigkeiten" auszuschließen.
2 Rechtspraxis
2.1 Gewöhnlicher Aufenthalt der/des Leistungsberechtigten (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 3
Für die Gewährung von Leistungen nach § 19 ist der g.A. der leistungsberechtigten Mutter bzw. des leistungsberechtigten Vaters vor Beginn der Leistung maßgeblich. Zu den Begrifflichkeiten "Leistung", "vor Beginn der Leistung" sowie "gewöhnlicher Aufenthalt" siehe Ausführungen zu § 86 Rz. 11 bis 18. Derjenige Jugendhilfeträger, in dessen Bereich also der anspruchsberechtigte Elternteil den g.A. hat, wird durch diese Norm zu dem für die Hilfegewährung örtlich zuständigen Träger bestimmt.
2.2 Schutz der Einrichtungsorte (Abs. 1 Satz 2)
Rz. 4
Entsprechende Anwendung findet die Regelung des § 86a Abs. 2 über den Schutz der Einrichtungsorte – in der Praxis häufig auch als "Anstaltsorte" bezeichnet –, wonach Aufenthalte der/des Leistungsberechtigten in Einrichtungen oder sonstigen Wohnformen, die der Erziehung, Pflege, Betreuung, Behandlung oder dem Strafvollzug dienen, von der Zuständigkeitsbestimmung des Jugendhilfeträgers, in dessen Jugendamtsbereich derartige Einrichtungen gelegen sind, ausgenommen werden (vgl. hierzu auch die Ausführungen zu § 86a Abs. 2 und § 89 e). Dies bedeutet: Hält sich der leistungsberechtigte Elternteil, bevor er in eine Mutter-/Vater-Kind-Einrichtung aufgenommen wird, in einer (anderen) Einrichtung i. S. d. § 86a Abs. 2 auf, so ist für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit auf den g.A. vor Aufnahme in die andere (erste) Einrichtung abzustellen.
2.3 Tatsächlicher Aufenthalt der/des Leistungsberechtigten bei fehlendem gewöhnlichen Aufenthalt (Abs. 2)
Rz. 5
Die Vorschrift des § 86b Abs. 2 regelt den Fall, in dem die leistungsberechtigte Mutter oder der leistungsberechtigte Vater vor Beginn der Leistung nach § 19 im Inland keinen g.A. hatte. Mangels vorhandenem g.A. ist hiernach der tatsächliche Aufenthalt, also die physische Anwesenheit, maßgeblich. Zur Begriffsdefinition des tatsächlichen Aufenthaltes vgl. Erläuterungen zu § 6.
2.4 Gemeinsame Wohnform als Anschlussleistung (Abs. 3 Satz 1)
Rz. 6
§ 86b Abs. 3 Satz 1 geht für den Fall der Gewährung einer Leistung gemäß § 19 als unmittelbare "Anschlussleistung" an eine bereits gewährte Hilfe nach §§ 27 bis 35a, § 13 Abs. 3, § 21 oder § 41 von der vormals eingetretenen örtlichen Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers aus. Das bedeutet, dass der bis dato örtlich zuständige Jugendhilfeträger, der beispielsweise eine Hilfe zur Erziehung nach § 27 in Form der Heimpflege nach § 34 gewährte, über diese Hilfeform hinaus auch für eine solche nach § 19 örtlich zuständig bleibt. Damit wird der bis dahin verlaufene Hilfeprozess nicht durch einen unnötigen Zuständigkeitswechsel unterbrochen und die Kontinuität der unter Umständen bisher erfolgreich geleisteten pädagogischen Arbeit bleibt weiterhin gewahrt. Ein Zuständigkeitswechsel findet insofern nicht statt. Etwas Anderes gilt im umgekehrten Falle. Schließt sich unmittelbar an eine Leistung nach § 19 beispielsweise eine Leistung nach §§ 27/33 oder 34 an, ist für diese (neue) Leistung die örtliche Zuständigkeit nach den dann gegebenen Umständen zu beurteilen. "Beginn der Leistung" ist in diesem Fall nicht der Beginn der Leistung nach § 19 (VG Hamburg, Urt. v. 15.6.2009, 13 K 2641/07 im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 29.1.2004, 5 C 9/03, zitiert nach juris; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.10.2011, 12 A 1493/11, EuG 2012 S. 378).
2.5 Unschädliche Unterbrechung der Hilfeleistung (Abs. 3 Satz 2)
Rz. 7
§ 86 b Abs. 3 Satz 2 stellt klar, dass eine Unterbrechung der Leistung – aus welchen Gründen auch immer – von bis zu 3 Monaten keine Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit des bis dahin zuständigen Trägers hat. Sollte die Hilfemaßnahme, i. d. R. von der Mutter oder dem Vater ausgehend, zunächst abgebrochen, sodann anschlie...