0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift kommt seit dem Inkrafttreten des 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) mit Wirkung v. 1.4.1993 zur Anwendung. Im Gegensatz zu Leistungen an junge Volljährige (§ 41, § 86a) sowie Maßnahmen in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder (§ 19, § 86b), bei denen der Schutz der Einrichtungsorte bereits über die Regelung der örtlichen Zuständigkeit existiert (beispielsweise § 86a Abs. 2 und § 86b Abs. 1), konnte der gleiche Schutzmechanismus in den übrigen Fällen nicht erreicht werden. Schon zu Zeiten des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) sollte gewährleistet sein, dass Orte, in deren Einzugsbereich Einrichtungen (zum Einrichtungsbegriff: siehe Ausführungen zu § 86a Rz. 6) gelegen sind, umfassend geschützt werden. Ein solcher Schutz wurde nunmehr durch eine entsprechende Kostenerstattungsregelung wiederhergestellt (vgl. auch Regierungsbegründung BT-Drs. 12/2866 S. 25). Im Zuge des Inkrafttretens des Art. 1 Nr. 43 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) v. 8.9.2005 (BGBl. I S. 2729) ist infolge der Erweiterung des § 89e Abs. 1 Satz 1 um einen Anschlusssatz (Satz 2) klargestellt worden, dass eine nach Satz 1 begründete Erstattungspflicht über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus fortbesteht, wenn Leistungen nach § 86a Abs. 4 und § 86b Abs. 3 zu gewähren sind. § 89e gilt seit dem 1.1.2012 i. d. F. der Bekanntmachung v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022).
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 89e Abs. 1 Satz 1 sorgt in seiner Anwendung für einen hinreichenden Schutz kommunaler Gebietskörperschaften, in deren Einzugsbereich sich sog. "geschützte" Einrichtungen von überregionaler Bedeutung befinden, vor überproportionalen Kostenbelastungen, indem in solchen Einrichtungen quasi kein gewöhnlicher Aufenthalt (g.A.) in rein kostenerstattungsrechtlicher Hinsicht begründet werden kann. Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift verlagert die Kostenbelastung insofern auf den örtlichen Jugendhilfeträger, in dessen Einzugsbereich die maßgebliche Person ihren g.A. vor Aufnahme in die Einrichtung begründet hat. Im Falle der Gewährung einer Jugendhilfeleistung über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus, sei es in Form der Weiterführung einer zum Zeitpunkt der Minderjährigkeit begonnenen Maßnahme oder aber einer unmittelbaren (neuen) Anschlussleistung (z. B. Hilfe für junge Volljährige nach § 41), bleibt der nach Abs. 1 Satz 1 bis zum Eintritt der Volljährigkeit zur Kostenerstattung verpflichtete Jugendhilfeträger gemäß Abs. 1 Satz 2 auch darüber hinaus fortgesetzt für diese Leistungen erstattungspflichtig, sofern sie nach § 86a Abs. 4 und § 86b Abs. 3 gewährt werden und sich die Zuständigkeit zuvor nach dem g.A. der Eltern, eines Elternteils, des Kindes oder Jugendlichen bzw. des nach § 19 Leistungsberechtigten richtete. Soweit ein kostenerstattungspflichtiger örtlicher Träger nicht vorhanden sein sollte, trifft die Erstattungspflicht gemäß Abs. 2 den überörtlichen Jugendhilfeträger, zu dessen Bereich der erstattungsberechtigte örtliche Träger gehört.
2 Rechtspraxis
2.1 Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber Träger des vorangegangenen gewöhnlichen Aufenthaltsortes (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 3
Soweit für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit der g.A. der Eltern, eines Elternteils, des Kindes oder des Jugendlichen maßgebend ist und die in Frage kommende Person den g.A. im jeweiligen Einzelfall in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform begründet, so trifft die Pflicht zur Erstattung der Kosten der Jugendhilfemaßnahme den örtlichen Träger, in dessen Bereich diese Person ihren g.A. vor Aufnahme in die Einrichtung oder sonstige Wohnform hatte. Zum Begriff des g.A. siehe auch § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, Erläuterungen zu § 86 Rz. 11 bis 16. Rechtserheblich i. S. d. § 89e sind allerdings ausschließlich diejenigen Einrichtungen, die auch tatsächliche Betreuungsleistungen erbringen. Eine Einrichtung, die mehr oder minder "nur" Beratungsgespräche oder auch psychosoziale Betreuung in Gestalt der Vermittlung lebenspraktischer Hilfen anbietet, erfüllt die in § 89e geforderten Kriterien indes nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Wohnform auf ein in sich schlüssiges Konzept angebotener Maßnahmen stützt, das den Aufenthaltszweck einer Betreuung verfolgt und dessen Umsetzung gewährleistet (vgl. hierzu auch VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 14.8.2000, AN 14 K 99.01157, DAVorm 2000 S. 1025; Bay VGH, Urteil v. 19.7.2006, 12 BV 04.1238). In Ergänzung der übrigen Kostenerstattungsnormen erfasst § 89e Abs. 1 Satz 1 insbesondere die Fälle, in denen sich Eltern bzw. der für die Zuständigkeitsbestimmung maßgebliche Elternteil in Frauenhäusern, Pflegeheimen, einer Einrichtung des Erwachsenenstrafvollzugs (Justizvollzugsanstalt) etc. aufhalten und dort im Einzelfall ihren Lebensmittelpunkt begründen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich die betreffende Person an diesem Ort im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und deshalb anzunehmen ist, dass damit auch der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbunden sein wird. Ein dauerhafter oder längerer Verbleib ist hierfür nicht Voraussetzung (vgl. VG Ansbach,...